Sotelo, Mauricio
Wall of Light Music for Sean Scully
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5
Im Grenzgebiet von Flamenco und zeitgenössischer Musik erkundet der spanische Komponist Mauricio Sotelo neue Möglichkeiten. Doch mit folkloristisch gefälligem Flair hat das wenig zu tun. Nein, Sotelo, geboren 1961 in Madrid, geht zurück zu den undomestizierten Wurzeln und schließt urwüchsige Flamenco-Idiome mit komplexer Moderne kurz. Die Verschränkung von Authentizität und Avantgarde führt bei ihm zu explosiven Mixturen in einem starken, berührenden Espressivo-Tonfall.
Sotelo, der lange Zeit in Wien lebte, noch bei Nono studierte und sich 1992 wieder in Madrid niederließ, kreiert eine ganz eigene Welt: irgendwo zwischen Soleá und Salvatore Sciarrino. Dies zeigt auch das neue Kairos-Album Wall of Light Music for Sean Scully mit vier Kompositionen aus den Jahren 2003 bis 2008. Scullys Malerei (speziell die Serie Wall of Light) mag mit dem andalusischen cante jondo, auf den sich Sotelo bezieht, eine dunkle, traurige Grundstimmung gemeinsam haben. Doch als durchschlagendes Faszinosum wirkt Sotelos Musik auch ohne synästhetische Verweise.
Etwa Chalan (2003) für Percussion und Ensemble: Das Werk ist konzipiert als Reise durch südindische Klanglandschaften, vorbei an rhythmischer Urgewalt, geisterhaften Geräuschen und ekstatischen Ensemblephasen. Die Kölner musikFabrik agiert in einer ungeheuren emotionalen Dichte, und als treibendes Unruhe-Zentrum fungiert der jazzerfahrene Tabla-Weltmusiker Trilok Gurtu.
Der Solist Marcus Weiss wiederum prägt Wall of light back for Sean Scully (2005/06) für Saxofon und Ensemble. Wehklagende, mikrotonal angereicherte Kantilenen und Ara-besken des Saxofons erinnern an die Toná, den uralten Flamencogesang: die «Stimme des Schmerzes», wie sie der Poet Fernando de Herrera genannt hat. Die musikFabrik zaubert daraus eine sinnliche Melange aus archaischer Aura und fragmentiertem Jetztzeit-Klang. Zwar sind die Aufnahmen in Köln, Madrid und Sevilla unter verschiedenen Dirigenten entstanden (Stefan Asbury, Brad Lubman und Sotelo selbst), doch der filigrane, intensive und bei Bedarf kraftvoll zupackende Stil der musikFabrik schlägt in allen Ensemblewerken durch.
Neben Night (2007) für Percussion und Ensemble, einer geträumten Bulería mit irrlichternder Marimba (Miquel Bernat), wirkt Como Llora el Agua (2008) für Flamenco-Gitarre solo wie eine große Espressivo-Klage. Im weiten Feld zwischen traditioneller Seguiriya und avancierter Harmonik, zwischen poetischen Klangfeldern und knallharter Schlagrhythmik entwirft der Solist Juan Manuel Cañizares eine fesselnde, Zeiten übergreifende Flamenco-Utopie.
Otto Paul Burkhardt