Breier, Albert

Walter Zimmermann – Nomade in den Zeiten

(= Archive zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, Band 14)

Verlag/Label: Wolke / Akademie der Künste Berlin, Hofheim / Berlin 2014, 190 Seiten, 24 Euro
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 85
Mit der anlässlich der Übergabe seines Archivs an die Berliner Aka­demie der Künste herausgegebenen Monografie über den fränkisch-Berliner Komponisten Walter Zimmermann existiert ein Buch, das nicht nur in einer gesunden Mischung aus Feuilleton und Wissenschaft Zugang zu einem der farben- und formenreichsten Werke der heutigen Kunstmusik bietet, sondern, wie das Werk selbst, Maßstäbe setzt an Akribie, kritischem Bewusstsein und Kommunikativität. Autor Albert Breier, selbst Komponist und ausübender Musiker, hat sich Zimmermann und seinem Schaffen als Kollege auf Augenhöhe genähert, und es dürften von diesem Buch interessierte Musikfreunde wie Wissenschaftler profitieren.
Schon der Einstieg direkt in die Mitte des so unübersichtlichen Gegenstands erweist sich als Königsweg, hat Witz, packt unmittelbar und erweckt unverzüglich Faszination. Es spiegelt auch gleich eine der Eigenschaften von Zimmermanns Musik: Das Unabgeschlossene des Hörens besitzt viele Fenster zum Einstieg.
Über Musik zu schreiben, sie also nicht hören zu lassen, gelingt hier durch die kontinuierliche Einbindung der als Beispiel herangezogenen Werke in ein sich ganz natürlich ergebendes System aus Methoden des Komponierens, der Geschichte und dem Einblick in das künstlerische Verhalten, das sich daraus bildet. Geradezu verführerisch ist, gleich am Anfang, wie Breier die zunächst allgemein scheinende Bemerkung, Zimmermanns Musik, die sich stetig selbst infrage stelle, nehme den «Charakter eines Rätsels» an, in eine Betrachtung der von Zimmermann geliebten Form des Kanons münden lässt, um dann den Blick aufs Werk und den Rückblick auf die Tradition der Rätselkanons zu einer conclusio zu führen, die wiederum Kaskaden neuer Ansätze und Assoziationen gebiert – wie Zimmermanns Musik selbst!
Tatsächlich zeichnet Breier das vierdimensionale Bild von Zimmermanns künstlerischem Bewusst- und Dasein: die Landkarte seiner Kenntnisse, den Raum seines Handelns und den Fluss seiner Innovation. Ungemein elegant gleitet er von einem angenehmen name-dropping in eine eingehende und auch wissenschaftliche Gemüter ansprechende Werkanalyse, die niemals das Tun, ja, das ernste Handwerk des Komponisten aus dem Blick und Griff verliert.
Wer Zimmermann kennt, weiß, welch belebte Form bei ihm der sonst mit «Muff unter den Talaren» assoziierte Begriff der Bildung besitzt. Es ist bei ihm ein kontinuier­licher Dialog und Abgleich mit Erkenntnissen und geistigen Errungenschaften, Maßstäben des qualitätvollen Denkens, in dem er sich befindet. Das wirkt heute freilich, wo die Medienintendanzen im Wahn der Angst vor Anspruch und um die Quote taumeln, befremdend und befreiend zugleich.
Breier ist als Vermittler zwischen Komponist und Leser ein adäquater Partner, Zimmermanns Spielen im Universum des Wissens und der Kritik zu folgen – er lässt den Leser daran teilhaben. Zimmermanns Musik ist nicht erkennbar an einem Stil von Klanggestaltung. Er arbeitet sich ab am Möglichen; darauf lenken er selbst, seine Musik und in glücklicher Folge davon auch dieses Buch das Interesse.
Matthias R. Entreß