Rebhahn, Michael

«we must arrange everything»

Erfahrung, Rahmung und Spiel bei John Cage

Verlag/Label: Pfau, Saarbrücken 2013 | 132 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/03 , Seite 92

Michael Rebhahn situiert das Cage’­sche Œuvre in Relation zu den Begriffen Spiel, Rahmung und Erfahrung. Letzteren Begriff analysiert er im Fokus von John Deweys 1934 publizierter Arbeit Kunst als Erfahrung. Als Verifikation dieser Zusammenführung dient ihm ein Essay der Literaturwissenschaftlerin Joan Retallack, in dem sie John Cage in Bezug zur Tradition des amerikanischen Pragmatismus setzt. Eine Pionierleistung, die Cage sehr lobte und die Rebhahn in seiner Analyse kontinuiert, in der er diverse Schnittstellen zwischen dem philosophischen Denken des Komponisten und den Ideen des Pädagogen und Philosophen Dewey aufzeigt. Nicht zuletzt auch um der Klarstellung willen, dass «Cages […] Begriff[s] von Erfahrung mit entsprechenden Praktiken des Zen-Buddhismus nicht gleichzusetzen ist».
Am Beispiel der Rahmung diskutiert Michael Rebhahn die seines Erachtens nach falsche Auslegung, Cages Werk repräsentiere eine «Ineinssetzung von Kunst und Leben», die für gewöhnlich an dem populärsten Stück des Komponisten, 4’33’’, illustriert werde. Dafür greift er eine Äußerung von Jakob Ullmann auf, laut der eine Aufführung des Stücks jederzeit realisierbar sei, wenn sich der Rezipient dazu entschließe, für viereinhalb Minuten zum Zuhörer zu werden. Rebhahn stellt fest, dass der Rezipient lediglich die «Methode des Cage’schen Stückes» in solch einer Situation in die Tat umsetze. Letztendlich fehlt aber der Rahmen einer Aufführungssituation, um die «Möglichkeit der Erfahrung von Stille» zu gewährleisten. 4’33’’ ist somit nicht ein Statement für die Verschränkung von Kunst und Leben, «Cages Spielanweisung nicht musikalisches Denotat», sondern die Inszenierung oder das Spiel einer Aufführungssituation.
Die Verschränkung von Spieltheorie mit der Musik von John Cage ist im letzten Abschnitt des Buchs von Signifikanz. Spielen, so Rebhahn, sei für gewöhnlich ein Prozess, der das Spielen von und mit etwas beschreibe. Zwei Differenzierungen, die sich problemlos auf das Werk des Komponisten beziehen lassen. Bevor Rebhahn allerdings konkreter wird, lässt er wesentliche Knotenpunkte der Spieltheorie Revue passieren. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Ausführungen des Romantikers Friedrich Schiller, des Psychologen Karl Groos und des Kulturhistorikers Johan Huizinga.
Obwohl Cage der Idee, seine Kompositionen als Spielsituationen zu begreifen, ablehnend gegenüberstand, insistiert Rebhahn trotzdem auf eine Zusammenführung. Unter anderem, weil «Cages Skepsis dem Spielbegriff gegenüber Resultat eines recht eindimensionalen Verständnisses des Phänomens ist». Indem der Komponist ein Kompendium von Spielregeln für den Interpreten arrangiert, das nicht teleologischer Natur ist, also kein «bestimmtes Spielziel» anstrebt, gibt er ihm die Möglichkeit, «im Spielen selbst den Gegenstand des Spiels zu konstituieren». Im Mittelpunkt steht allerdings nicht das Sammeln von Punkten und Ergattern von Highscores, sondern das «Im-Spiel-Erzeugen von etwas». Ein poetischer Abschluss für eine gelungene und intellektuell fordernde Arbeit.

Raphael Smarzoch