Ruzicka, Peter

Werke für Violoncello

Verlag/Label: Thorofon CTH2608
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/03 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Jurist und Komponist wie Robert Schumann, vermochte Peter Ruzicka kraft einflussreicher Spitzenstellungen nicht nur die besten Interpreten für seine Musik zu gewinnen, sondern auch ein treues CD-Label und einen so geistreichen Deuter wie Peter Becker. Eines freilich muss der Neid ihm lassen: Musiker und Skribenten hätten sich wohl kaum über Jahrzehnte von seiner Tonkunst einnehmen lassen, besäße sie nicht jene Anmutung, die Eduard Mörike der Deckenlampe eines fast vergessenen Lustgemachs abmerkte: «Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.»
Als er 2009 den Musikpreis der Deutschen Wirtschaft gewann, sei ihm die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, das Rezitativ für Violoncello und Klavier von Peter Ruzicka uraufzuführen, notiert Valentin Ra­dutiu, Cellist deutsch-rumänischer Herkunft. So begann zwischen dem Komponisten und dem Jungstar, der bei Heinrich Schiff in Wien und David Geringas in Berlin studierte, eine überaus förderliche Künstlerbeziehung. Welch reife Früchte sie trug, bezeugt die vorliegende Einspielung in jedem Augenblick.
Das 2009 im Auftrag des Cello-Wettbewerbs «Ton und Erklärung» entstandene spannungszerrüttete Rezitativ, das der schwedische Pianist Per Rundberg feinnervig begleitet, ist eine Art Parergon zu Ruzickas erster Oper Celan (2001).Wie in einem großen virtuosen Rezitativ führe das Solocello durch zentrale Ereignisfelder der Partitur, erläutert der Komponist. «Immer wieder hält die Musik erinnernd an, als fände sie aus ihrem Rückhören auf Vergan­genes erst den Impuls zum Weitersprechen.» Eine Wortwendung, die – Adornos Mahler-Buch entnommen – an den Titel seiner Musik für Viola und Orchester von 1981 erinnert. Auch Ruzickas zweites Musiktheater Hölderlin (2008) klingt auf der CD wider: in den drei Stücken für Violoncello und Klavier, die er unter dem Titel Nachschrift zusammenfasste. Sie umkreisen die fünf Hölderlin-Fragmente für Bariton und Klavier, die Ruzicka der Uraufführung seines Bühnenwerks vorausschickte.
Das Konzert für Violoncello und Kammerorchester, dem er 2009 den vielsagenden Titel … über die Grenze mitgab, bringt der Komponist hier selbst mit der Camerata Salzburg beispielhaft zur Aufführung. Das Werk in einem Satz sei «eine Art Vor-Echo einer dritten Oper, die sich um Jenseitiges bewegen wird», lüftet Ruzicka schon mal das Geheimnis um ein neuerliches Bühnenwerk. Hölderlins Paradoxon «Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben» könnte dem Cello­konzert als Inschrift dienen. Ihr entspricht die «musikalische Zweisprachigkeit» des Stücks: eine irreale und eine gegenwärtige, die sich bis zur Erschöpfung aneinander reiben und über die Grenze treiben.
Bereits 1969 zum Heimgang Theodor W. Adornos geschrieben, bewegen sich die sieben Phasen der Sonata per violoncello am Rande des Sprachverlusts, wobei sich insgesamt ein Zug vom unteren zum oberen Hörrand abzeichnet. Zweifel, ob er nicht gänzlich verstummen sollte, durchfurchen die vier Solo-Epiloge von 1976, die – so der Obertitel – in die Stille führen. Ein Meister der Stille war Ruzicka schon immer. Auch wenn sie zuweilen tost.     

Lutz Lesle