Ishii, Hiromi

Wind Way

Verlag/Label: Wergo artist.cd, ARTS 81122
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2007/02 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 3
Booklet: 3
Gesamtwertung: 4

Wenn man den Umgang ostasiatischer Komponisten mit dem Klang betrachtet, dann erscheint die Experimentierfreudigkeit der japanischen neuen Musik nicht so weit entfernt von der aufkeimenden chinesischen Avantgarde. Es gehe ihm um das Prinzip maximaler Entfaltung des Minimums, sagte der chinesische Komponist Xiao­yong Chen einmal, die Musik solle durch Konzentration und Nach-innen-Gekehrtsein, aber auch durch ihr Verhältnis zum Klanglosen körperliche Ausgeglichenheit fördern und Wahrnehmung schärfen.
Die in Tokyo und Dresden u. a. bei Wilfried Jentzsch ausgebildete japanische Komponistin Hiromi Ishii benutzt dafür elektroakustische Hilfs­mittel, Instrumente ihrer Heimat wie die Satsuma-Biwa, das Sha­kuhachi und gern auch die menschliche Stimme in filigransten Ensemble­besetzun­gen. Klangwolken wehen vorüber, verschwinden im Nichts, werden gespiegelt und mit sphärischen Kantilenen verbunden. Die Dramaturgie der Stücke ist von Ruhe oder allenfalls gestörter Ruhe beherrscht, vielleicht nur im Biwa-Stück Himorogi I wird Erregung, ja fast schon Aggressivität zum Motor des Geschehens. Der Spieler des mit der Pipa eng verwandten japanischen Lauteninstru­ments, auf dem eine Jahrhunderte alte Tradition lastet, sitzt inmitten eines von acht Lautsprechern gebildeten Zirkels und wird via Mehrkanalaufnahme und -wieder­gabe beständig mit seinen eigenem Produkt konfrontiert.
Im dieser CD titelgebenden Stück Kaze no Michi (Wind Way) befinden wir uns per Live-Elektronik plötzlich im Geräusche-Park eines Tokyoter Bahnhofs. Einsam verfolgt der Bambusflötenspieler Sachio Suginuma sei­nen polarisierenden Gegenpart, wobei seine entspannten Figuren nur selten wie Strohfeuer aufflackern, um sogleich wieder in sich zu versinken.
Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik hat Hiromi Ishii nicht minder großes Interesse an akusmatischer, also ausschließlich für die Darbietung mit Lautsprechern konzipierter Musik. In ihrem der Insektenwelt gewidmeten Hörbild Summer Grasses schwingt sich die Dynamik von der Hörbarkeitsgrenze pppppp bis ins Scharf-Metallische auf.
Am spannendsten ist vielleicht das kürzeste Stück dieser CD, Steine, Stimme und Sterne für Vokalen­semb­le und Live-Elektronik. Ähnlich wie es Tan Dun in seinem phänomenalen Multimedia-Stück The Map schon einmal mit rhythmischen Geräuschen diverser aufeinander geschlagener Stei­ne versucht hat, integriert Ishii hier neben gesprochenem Text aus Astronomie-Lexika und einer vom Chor gesungenen Serie von Vokalen den Klang vulkanischen Gesteins, das glockenhell in gläsernen Resonanzkörpern aufeinander­zu­pral­len scheint.

Helmut Peters