Trabant Echo Orchestra

Winter Suite

Verlag/Label: Qilin Records
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/04 , Seite 79

Musikalische Wertung: 4

Technische Wertung: 5

Booklet: –

Das Trabant Echo Orchestra wurde 2011 von Bassist und Komponist Tobias von Glenck und dem Perkussionisten Martin Lorenz gegründet und versteht sich als offenes Kollektiv irgendwo zwischen zeitgenössischem Kammerensemble, Jazzcombo und Popband. Dabei gehört es für die beteiligten Musiker zum Selbstverständnis, dass die Verortung im Dazwischen der Genres und Stile nicht bloßes Marketingsprech ist, sondern mit Notwendigkeit aus der intensiven Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Spielarten von Musik folgt. «Musikalische Begrifflichkeiten», heißt es dementsprechend im Pressetext zur aktuellen, ersten Veröffentlichung der Gruppe, mögen letztlich hilfreich beim Beschreiben und Kategorisieren von Musik sein, die Musik selbst komme aber auch sehr gut ohne sie aus. 
Ihr nun beim Schweizer Label Qilin Records erschienener Erstling vibriert geradezu von einer durch diese Grundhaltung angetriebenen Verve. Die halbstündige Komposition Winter Suite von Tobias von Glenck entfaltet einen bildhaften Rausch an Eindrücken, die den Hörer sogartig immer tiefer in das assoziierte Narrativ der Musik führt – und einen dabei fast wünschen lässt, dass es dazu einen Film gäbe. 
Der erste Satz öffnet zunächst einen geheimnisvollen Klangraum mit gebrochenen Akkorden des Glockenspiels, zaghaft beantwortet durch kurze Einwürfe der Streicher. Darauf setzt das Klavier ein, zunächst einen Ton repetierend, dann auf abenteuerlichen Pfaden eine mäandernde Linie skizzierend, zu der sich die nun legato wankenden Streicher gesellen, bevor der mürrisch akzentuierende Bass dem Gebilde eine Grundierung verleiht. Das Schlagzeug besorgt ei­nen 4/4-Groove mit Schwerpunkt auf der Drei und alles nimmt Fahrt auf, geradewegs einem unbekannten Ziel entgegen. Am Ende kulminiert der erste Satz in einem Neo-Noir-Tango mit aufgekratzter Bratschenmelodie, die unverwandt abbricht und sich in einem flächigen Credo der anderen Instrumente langsam und wehmütig mit der Wiederholung dreier Töne gleichsam an ihre gerade evozierte Vergangenheit zu erinnern scheint. 
Die beiden folgenden Sätze sind eher lyrisch gehalten, klanglich bestimmt durch viel Pedal auf den liegenden Klavierakkorden und durch Anklänge an die Melodien osteuropäischer Volkslieder. Im vierten Part lässt eine Passage mit krachigen Becken aus der zuvor etablierten Ruhe aufschrecken. Die folgende Stille differenziert sich aus in regelmäßigen Patterns mit Walking-Bass und kontrastierend flirrenden Streicherfiguren. Klavier und Toy Piano brechen den Rhythmus mit dissonanten Akkorden, bevor am Ende einmal mehr ein nostalgisches Lamento die Reise beschließt. 
Die Komposition verlässt sich über weite Strecken auf Repetition als Prinzip, hat aber ihre spitzbübische Freude daran, trotzdem ständig unvorhersehbare Haken zu schlagen. Das Kammerensemble, das neben von Glenck und Lorenz Simone Keller an den Tasten, David Schnee an der Bratsche und Nicola Romanò am Violoncello vereint, verleiht der Szenerie dabei in jedem Moment eine solch plastische Lebendigkeit, dass der Hörer am Ende doch froh ist, dass es zu dieser Musik keinen Film gibt.
Patrick Klingenschmitt