Xenakis, Iannis

Works with Piano

Verlag/Label: mode DVD 217
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2011/02 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 4
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

Im Inneren des Klangkörpers Klavier verhaken sich Töne, die Aki Takahashi förmlich in die schwarz-weißen Tasten hineinhämmert. Die Kamera zieht auf und richtet das Objektiv auf fünf nebeneinander stehende Herren – drei Posaunisten und zwei Trompeter. Stephen Drury dirigiert sie mit leichter Hand. Plötzlich lösen sich die fünf aus ihrer Spielstarre, gleichmäßig lauter werdend gehen sie zum Klavier, neigen ihre Instrumente hinein und versenken die erzeugten Klänge in das Klanggebilde des Pianos.
Eonta («Seiende») schrieb Iannis Xenakis 1963 im Auftrag von Pierre Boulez für seine Konzertreihe «Domaine Musical» in Paris. Das Stück für Klavier, zwei Trompeten und drei Posaunen – eines der komplexesten von Xenakis – basiert auf zwei Klangebenen unterschied­licher Struktur. Konsequent agiert das Klavier im Akkord-Fieber, während die «dagegen anspielenden» Bläser eine reflektieren­de, nahezu undurchdring­liche Klangwand bilden. Beständig wechseln Tem­po, Lautstärke, Dynamik und Resonanz, Toncluster verweben die auseinanderstrebenden Klang­flächen. Xenakis selbst hat die Positionen der Blechbläser vorgegeben, die im Bühnenhintergrund stehen oder rechts vom Dirigenten sitzen. Indem die Blechbläser hin und her parlieren, formieren sie sich manchmal zu einer figurativen Bewegungseinheit oder ge­hen einzeln den Tönen nach oder voran.
Auch das 1986 geschriebene Akea ist eine Auftragsarbeit, diesmal für das Festival d’Autonomne in Paris. Der Komponist «siebt» hier Tonleitern mit verschiedenen Tonhöhen ineinander und erreicht es, durch verknüpfte Intervalle Ton-Wiederholungen (wie es in Oktavschritten eigentlich vorgegeben ist) zu vermeiden.
Paille in the Wind (1992) verbindet zwei herausragende Solisten – am Klavier wieder Aki Takahashi, am Cello der überragende Rohan de Sa­ram, der sich 2005 vom Arditti Quartet verabschiedete, dem er 26 Jahre angehört hatte. In stoischer Ruhe streichelt er sanft und langsam die Saiten seines Instruments in einem vergleichsweise moderaten Ton, während Takahashi mit jeder Hand fünftönige Akkorde spielt. «Stroh im Wind», so die Übersetzung des französisch-eng­lischen Ti­tels, ist ein eher unspekta­kuläres Werk, das die klingend-gegen­sätz­lichen Klangebenen zwischen den «geschlagenen» Klaviertasten und den gestrichenen Cellosaiten deutlich herausstellt.
Etwas vom Schicksal gebracht bekommen und etwas vom Schicksal nicht gebracht bekommen – Morsima-Amorsima, zwischen 1956 und 1962 komponiert, betont den Universalismus des Komponisten Xenakis. Das Stück entstand mit der Hilfe des Informatikprogramms ST (= Stochastik), mit dem Xenakis ein aleatorisches Kompositionsprinzip umsetzte, das er bereits in Achorripsis verwendete. Der hier veröffentlichte Mitschnitt ist die einzige Aufnahme auf Schallplatte. Da das Computerprogramm sämtliche Vorgaben liefert, verteilte Xenakis nach dem Würfelprinzip «nur noch» die Parameter des Werks: Tonhöhe, Lautstärke, Länge der Sequenzen etc. Die unbeeinflussbare Regie des Computerprogramms verschafft dem Stück eine rekonstruierbare Identität, ob im dichten Klanggetümmel oder in luftigen Leichtgewichtkonstrukten.

Klaus Hübner