Walshe, Jennifer

XXX_Live_Nude_Girls!!!

Verlag/Label: Mere Records 002
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/04 , Seite 84

Körperwelten, ganz aus Plastik – Jennifer Walshe kritisiert die Barbie-Puppe

Der Titel XXX_Live_Nude_Girls!!! ist natürlich ein Insiderwitz, der ins Leere geht, da die geilen Glotzer, die er irreführen soll, ohnehin nicht angesprochen werden. Jennifer Walshe, die Autorin dieses kurzen, im Rahmen von Wien Modern 2003 produzierten Videos, macht sich einen Spaß daraus, Erwartungen zu enttäuschen. In einem Puppenstuben-Ambiente sieht man in Nah­aufnahmen ständig irgendwelche Hände an unzähligen Barbie-Puppen herumfummeln, die sie an- und ausziehen, in diverse Posen bringen und damit das Pseudoleben fin­gieren, das diese zum globalen Kinder- und Eltern-Fetisch gewordene Konsumpuppe repräsentiert. Ein unübersichtlicher, hektisch inszenierter Wohnstuben-Kleinkram, bei dem im Grunde genommen nichts passiert, außer dass die mit der Plastikfigur assoziierte These vom falschen Leben mit den Mitteln der Plastik-Ästhetik denunziert wird.
In ihren Erklärungen schreibt die Komponistin, dass das Phänomen der Barbie-Puppe von unzähligen Kommentatoren begutachtet worden sei, von Akademikern, Journalisten und Sozialwissenschaftlern bis hin zu Autoren, Künstlern und Filmemachern, aber leider auf falsche Art. Und deswegen schickt sie nun mit ihrem Videostück nochmals ei­nen Kommentar hinterher, den richtigen diesmal. Nicht nur die Puppen, sondern auch das manipulative Spiel mit ihnen soll dem scharfen Blick der Kritik ausgesetzt werden. Aber da die Entlarvung der Barbie-Puppe als Verkörperung aller konsumistischen Weiblichkeitsklischees nun auch nicht mehr gerade ein rasend neuer Einfall ist, scheint es, dass sich das Stück selbst ein wenig auf die Schippe nimmt: postpostfeministische Stilübungen als Jux für die Gender-Szene. Musikalisch bedient sich die Komponistin der vokal-instrumentalen Geräuschartikulationskünste des Ensemble Apartment House, und indem sie Ton und Bild zu einer distanzlosen Einheit verschmilzt, entlarvt sie nebenher mit der Barbie-Puppe auch noch gleich die avantgardistische Tonproduktion als ephemeren Plastikmüll. Aber auch das ist sicher als Jux gedacht.

Max Nyffeler