Institut für Medienarchäologie (Hg.)

Zauberhafte Klangmaschinen

Von der Sprechmaschine bis zur Soundkarte

Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/02 , Seite 91

Bei der Berliner Funkausstellung 1932 standen elektrische Klangerzeuger hoch im Kurs: eine ganze Halle war dem so genannten «Elektronischen Orchester» gewidmet, das die visionäre Ästhetik seiner Musik-Apparate in geballter Form unters Volk bringen sollte. Nur ein dreiviertel Jahrhundert später, im Zeitalter digitaler Immaterialität, ist es mit dem Zauber der Maschine freilich nicht mehr weit her. Die Zukunftsmusik von einst ist samt ihres futuristischen Instrumentariums längst im Staub einer immer rasanter beschleunigenden Technik-Geschichte versunken oder kommt im Zeichen temporärer Old-School-Ästhetik noch gelegentlich zu neuen Ehren.
Diese «vergessene Zukunft» mu­sik-medialer Provenienz wieder ein Stück weit in die Gegenwart zu holen haben sich Elisabeth Schimana und Peter Donhauser vom österreichischen Institut für Medienarchäologie auf die Fahnen geschrieben. In ihrer Ausstellung «Zauberhafte Klangmaschinen» installierten sie ein Panoptikum klingender Apparate, das mit unbekannten Kuriosa und im Sande verlaufenden Visionen ebenso aufwartete wie mit kulturell folgenreichen technischen Innovationen. 38 Klangmaschinen wurden für die begleitende Publikation ausgewählt, katalogisiert in Speicher, Überträger und Erzeuger.
Entscheidender als eine wirklich funktionierende Systematik – dazu sind die einzelnen Geräte letztlich zu janusköpfig in Technik, Anwendung und Zweck – ist hier naturgemäß der konkrete Charme des Objekts. Ihm wird mit sinnlich ansprechenden Einzelporträts (Farbabbildung, technischer Steckbrief, Funktionsbeschreibung) und ergänzenden Texten von 21 Autoren ausführlich gehuldigt, welche die historischen Hintergründe und akustischen Eigenarten der jeweiligen Maschine unterhaltsam näher bringen.
In der Kurzbeschreibung des Hönig-Synthesizers, ein schrankhohes Monstrum von 1965 mit einer Unzahl von Reglern und Eingängen, lesen wir: «Die vom SYM-Mikrocomputer generierten Steuerspannungen und Triggerimpulse können auf der Steckmatrix und dem Patchbay den Hüllkurvengeneratoren, LFO’s, Sample & Holds, Filtern und Oszillatoren zugeordnet werden.» Noch Fragen? Ein gewisses nomenklatorisches Vorverständnis kann also nicht schaden, man muss jedoch keine Ingenieurs-Seminare belegt haben, um dieses Buch zu verstehen, wird man nur dort, wo es wirklich notwendig ist, mit technischen Details konfrontiert.
Dabei öffnet diese liebevolle Mischung aus Bilderbuch und Essay-Sammlung schon allein visuell eine Schatzkammer längst verschütteter oder kaum bekannt gewordener Utopien, die da heißen Ultraphon (eine Variante des Grammophons mit integriertem Raumklang-Effekt), Terpsiton (eine Art Theremin für Tänzer), Heliophon (eine Weiterentwicklung des Hellertion, dessen Manuale stufenlose Tonhöheneinstellungen und klangfarbliche Mehrstimmigkeit ermöglichten), Superpiano (eine Frühform des Samplers mit Zelluloid-Scheiben im Gehäuse eines Klaviers) oder Subharchord II, das daherkommt wie die Schaltzentrale einer Reaktoranlage mit Tastatur und subharmonische Mixturen erlaubt. Neben solch illustren Unikaten, denen mangels Absatzmöglichkeiten keine Zukunft vergönnt war, finden selbstredend auch diejenigen Innovationen Berücksichtigung, die ihren Siegeszug in der Massenkultur angetreten haben und als Instrumente in der Pop- und Rockmusik zu Ruhm und Ehren kamen (Mellotron, Hammond-Orgel, Minimoog etc.) oder als wegweisende Aufnahme- und Reproduktionstechniken (Grammophon, Magnetophon, Radio) die gesamte ästhetische Wahrnehmung der Gegenwart beeinflussten.
Zwar bildet die unmittelbare Faszination für die Ästhetik der Maschine das poetische Herzstück des Buches, flankiert wird dieses Sammelsurium klingender Apparate jedoch von theoretischen Erörterungen, welche die wechselseitigen Beziehungen von Technik- und Musikgeschichte von der Antike bis zur «Digitalen Revolution» sinnvoll erörtern: Siegfried Zielinski entwirft in seinem «Affekte und Effekte» umkreisenden Text «eine minimale Enzyklopädie um einfache Apparate und Automaten» und fragt nach den physischen und metaphysischen Implikationen archaischer Musikautomaten seit dem Altertum. Peter Donhauser vom Technischen Museum Wien legt in einem äußerst anschaulichen Abriss über die Grundlagen der elektroakustischen Medien im Fokus von Speicherung, Übertragung und (Re-)Produktion sein Augenmerk insbesondere darauf, wie technische und musikalische Entwicklung sich gegenseitig bedingen. Substanziell auch die Erörterungen von Elena Ungeheuer, die unter dem Aspekt der musikästhetischen Verortung elektronischer Klangerzeugung das künstlerische und musikgeschichtliche Potenzial der Maschine zwischen Imitation (natürlicher Instrumente) und Innovation abklopft. Dass die Entwicklung elektromusikalischer Technik dabei keineswegs als eine lineare Fortschrittsgeschichte zu denken ist, wo sich die Gegenwartsmusik wie auf einem Mutterschiff zielgerichtet fortbewegt, ist dabei eine nicht unwesentliche Schlussfolgerung.
Die großzügige Bebilderung dieser Publikation (mit vielen bezaubernden Trouvaillen aus der Erfinderstube) ist ein ästhetisches Vergnügen für sich, öffnet sie doch alle Sinne für den objektalen Charme, dem die Pionierzeit elektroakustischer Geräte hier innewohnt und der den etwas kitschigen Titel der Ausstellung verständlich macht, wenn auch nicht verzeiht. Bedauerlich allerdings die Tatsache, dass man auf eine akustische Begleitung per CD verzichtet hat (jedoch unter http://ima.or.at/klangmaschinen). Wenn ein Buch nach Sound verlangt, dann dieses …

Dirk Wieschollek