Schönberg: Violin Concerto | Adorno: Six Orchestral Pieces | Stravinsky: Firebird Suite
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 2
Wegen seiner exorbitanten spieltechnischen Anforderungen wagen sich die wenigsten Virtuosen an das Violinkonzert, das Arnold Schönberg seinem Schüler Anton Webern widmete. 1934 bald nach seiner Emigration begonnen und 1936 vollendet, von Jascha Heifetz für unspielbar erklärt, nahm sich Louis Krasner amerikanischer Geiger ukrainischer Herkunft, dem Alban Berg 1935 sein Violinkonzert Dem Andenken eines Engels schrieb des Werks an und brachte es 1940 in Philadelphia zur Uraufführung. «Ich freue mich, ein weiteres unspielbares Stück ins Repertoire gebracht zu haben», quittierte Schönberg Heifetz Absage. «Ich will, dass dieses Konzert schwierig ist und der kleine Finger länger wird. Ich kann warten.» Schließlich sei es «einer zukünftigen Rasse Geiger mit sechs Fingern» zugedacht.
Die blendende georgische Geigerin Liana Issakadze Meisterschülerin von David Oistrach, Preisträgerin der ranghöchsten Violinwettbewerbe, Fixstern am Geigenhimmel der UdSSR, seit 1990 «im Westen» lebend machte sich Schönbergs Herausforderung an die geigerische Nachwelt so locker und leicht, behände und geistsprühend zu eigen, dass man traurig wird, wenn man liest, der Komponist habe es niemals im Konzertsaal gehört. Das Moskauer Sinfonieorchester unter Alexei Kornienko bietet der Solistin just die orchestrale Klangaura, schafft ihr das artgerechte Biotop, darin ihre feinnervige, dynamisch ausgewuchtete, zielstrebige und wirkungssichere, doch effekthaschender Äußerlichkeiten gänzlich abgeneigte Interpretationskunst beheimatet ist und sich zu schönster Blüte entfaltet.
Wiewohl nach den Regeln der Zwölfton-Reihentechnik gebaut, gestattet sich Schönberg nicht nur die Freiheit, einzelne kurze Motive zu wiederholen, sondern auch formale Anlehnungen an die Gattungstradition. Das «Andante grazioso» wiegt sich im Walzerrhythmus, im Finale schwingt sich die Violine auf das Hochseil einer abenteuerlichen Solokadenz. Dabei halten sich alle Themen an die (gegebenenfalls transponierte) Grundreihe und ihre Derivate. Das in den Bläsern dreifach besetzte, mit Pauken, Schlagzeug, Xylofon und Glockenspiel bestückte Orchester rollt der dominierenden Solostimme einen farbenfrohen Teppich aus.
Macht sich Schönbergs Violinkonzert im Musikleben der Gegenwart rar, so blüht eine kompositorische Jugendsünde des Sozialphilosophen Theodor W. Adorno, der bei Alban Berg Unterricht nahm, vollends im Verborgenen: die Sechs kurzen Stücke op. 4. Dem Geist der Neuen Wiener Schule ergeben, entwickeln sie wie ihre pflegliche Wiedererweckung durch Kornienko und die Moskauer Symphoniker hören lässt bei aller konstruktiven Askese doch einen Schönheitssinn, der quer steht zum Wahrheitsgebot seiner späteren Philosophie der neuen Musik, welche «stachlige» Werke verlangt.
Wie Balsam legt sich am Ende Strawinskys Ballett-Suite Der Feuervogel auf die spröde Schönheit Schönbergs und Adornos. Mit magischem Anhauch zitieren die Russen die konträren Sphären des guten Feuervogels und des bösen Herrschers Kastchei herbei seinen verfänglich duftenden Zaubergarten, den betörenden Tanz der Prinzessinnen, den höllischen Tanz der Untertanen, das liebliche Wiegenlied und das festliche Finale mit seinem lichten Hornthema.
Lutz Lesle


