Maestro or Mephisto. The Real Georg Solti

Ein Film von Andy King-Dabbs | 59 min.

Verlag/Label: Arthaus 101 662
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 77

Die Dokumentation der BBC über Georg Solti ist der seltene Fall eines Musikfilms, bei dem man wie elektrisiert vor dem Bildschirm sitzt. Mit seiner ungeheuren Vitalität zieht das dirigierende Energiebündel alles in Bann, im Gespräch vor der Kamera nicht weniger als am Pult. Mit kaustischem Humor blickt er auf seine Zeit an Covent Garden zurück, wo er sich mit seinem unerbittlichen Arbeitsethos viele Feinde schuf: «Sie nannten mich einen preußischen Bastard und eine ungarische Katastrophe. Aber sie brauchten Disziplin.» Die Musiker hassten ihn, und ein pensionierter Schlagzeuger ist im Gespräch vor der Kamera noch heute überzeugt, dass er von Solti musikalisch kaputtgemacht wurde. Doch dass der dirigierende Berserker mit seiner Arbeitswut und seinem Genauigkeitswahn das im Mittelmaß dahindümpelnde Opernhaus an die Weltspitze führte, rechnen ihm Publikum und Verantwortliche hoch an.
Der Film gibt einen faszinierenden Einblick in Leben und Arbeit dieses Musikbesessenen, der noch Schüler von Béla Bartók war, dessen Operndebüt in Budapest mit «Figaros Hochzeit» am gleichen Tag stattfand, an dem Hitler in Wien Einzug hielt, und der als Assistent von Toscanini bei Kriegsausbruch in der Schweiz strandete, wo er als Klavierlehrer überlebte. Hier wurde er mäzenatisch unterstützt, hier heiratete er zum ersten Mal und startete von hier aus nach 1945 seine internationale Karriere.
Die erste Station war das zerbombte München, wo man den ehrgeizigen jungen Juden erst feindselig beäugte. Doch als
Richard Strauss kurz vor seinem Tod noch die «Rosenkavalier»-Probe besuchte und Solti da­bei beglückwünschte, war auch für das Münchner Orchester und Publikum die Welt wieder in Ordnung. Die bewegende Begegnung ist in dieser Dokumentation zu sehen. Sie informiert auch ausführlich über Soltis Zeit als Chef des Chicago Symphony Orchestra und gibt spannende Einblicke in die epochale Wiener Studioproduktion von Wagners «Ring», die 1959 begann und bis heute angeblich die meistverkaufte Klassik­aufnahme ist. Ernst und Komik werden im Porträt wohltuend gemischt – die Existenz des Juden Solti während der Hitlerzeit, die Ermordung seiner Eltern und seine Probleme mit dem Nachkriegs-Antisemitismus kommen ebenso zur Sprache wie seine kantige Dirigierweise, über die ein Orchestermusiker sagt: «Die Eins gab er mit dem Ellbogen.»

Max Nyffeler

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