Hartmann, Karl Amadeus

1. Streichquartett (1933) / 2. Streichquartett (1945-48) / Kleines Konzert für Streichquartett und Schlagzeug (1931/32) / Kammerkonzert (1930-35)

Interviews mit Karl Amadeus Hartmann, Elisabeth Hartmann und Richard P. Hartmann

Verlag/Label: Cybele 3SACD KiG 001
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 83

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 5
Gesamtwertung: 5

 

«Im Idealfall spricht das Werk eines Künstlers für sich selbst. Allerdings fühlt der eigenwillige, innovative Kunst­­schaffende sich und seine Arbeit nicht selten unverstanden beziehungsweise missverstanden. Oft besteht die misstrauische Befangenheit dem Neuen und Fremden gegenüber weit über den Tod des Künstlers hinaus.» (Mirjam Wiesemann)
«Edition Künstler im Gespräch» nennt sich die neue Reihe des kleinen Labels Cybele aus Düsseldorf. Mit dieser wollen Mirjam Wiesemann und Ingo Schmidt-Lucas vor allem eines: ein sehr persönlich gefärbtes Bild von Komponisten zeichnen und so den Zugang zu Werken auf biografischem Wege erschließen. Zum Auftakt der Reihe erscheint ein drei SACDs umfassendes Porträt in Werken und Interviews des Münchener Komponisten und Begründers der «musica viva»-Konzertreihe, Karl Amadeus Hartmann (1905-63). Ein Künstler mit ebenso humaner wie humanistischer Gesinnung kommt hier zu sowohl musikalischem wie verbalem Ausdruck. Wiewohl in Hartmanns aus dem Jahr 1962 stammender Privataufnahme eine Bewunderung Arnold Schönbergs zum Ausdruck kommt («Um zur geistigen Brücke vom 19. zum 20. Jahrhundert zu werden, hat sich Schönberg für uns alle geopfert»), verpflichtete sich Hartmann weitestgehend einer Art neoklassizistischem Stil zwischen Strawinsky und Bartók, mit dem er die Adaption folkloristischen Liedmaterials teilt. In seinem 1. Streichquartett (1933) ist das jüdische Lied Elijahu ha-navi als wesentliche thematisch-motivische Substanz verarbeitet – nicht zuletzt als unverhohlene politische Stellungnahme angesichts der aufziehenden Nazi-Herrschaft.
Mit zwei Streichquartetten, dem kleinen Konzert für Streichquartett und Schlagzeug (1931/32) und dem Kammerkonzert (1930-35), bietet das Porträt einen eindrücklichen Ausschnitt des Hartmann’schen Schaffens. Besonderen Wert haben die liebevoll gesammelten Sprachdokumen­te, die neben dem Humanisten auch das Bild eines vielschichtigen Künstlers ergeben, dem nebst Lebensfreude und Humor auch – wie Hartmanns Frau im Interview mit Ulrich Dibelius betont – ein bis zur Depression neigen­der Pessimismus angesichts bekannter Zeitumstände eigen war. Auch wenn die Tonqualität zuweilen unterm Verschleiß alter Bänder leidet und die persönlichen Bemerkungen von Hartmanns Sohn oder seiner Frau mancher­orts weitschweifig ausfallen – kaum zu überschätzen ist der ebenso mü­­he- wie liebevolle Aufwand, mit dem Cybele die neue Reihe beginnt. Ein Booklet mit eindrucksvollen Foto­grafien und einem konzisen Text von Hanns-Werner Heister rundet diese herausragende Publikation ab.

Torsten Möller