Schubert, Matthias

9 Compositions for the Multiple Joy[ce] Ensemble

Verlag/Label: Red Toucan RT 9348
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 85

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 1

Nomen est omen – für Namen, die aus zwei mit widersprüchlichen Konnotationen aufgeladenen Bestandteilen bestehen, mag dies gleich in mehrfacher Weise gelten, synthetisiert ihre Kombination doch häufig neue Bedeutung. Der Rockmusiker Marilyn Manson etwa bündelt die Glitzerwelt von Marilyn Monroe und die Abgründe eines Charles Manson in seiner Person zu einem Hybriden, der die Extreme amerikanischer Popkultur in bizarren Facetten spiegelt.
Dass die musikalischen Welten nicht minder extrem sind, die in den 9 Compositions for the Multiple Joy[ce] Ensemble von Matthias Schubert aufeinanderprallen, ist nur eine Parallele zum Schockrocker. Auch tragen sie auf ähnliche Weise codierte, programmatische Namen. Diese werden zu Chiffren für bestimmte Klangvorstellungen, die miteinander kombiniert oder einander gegenübergestellt werden. Im besten Fall entsteht so ein fruchtbarer Dialog, oft allerdings harter Dissens: So trifft im Stück mit dem Titel Frith Fields radikaler Noise auf betonharte Stille, die sich immer wieder blockweise zwischen die fortissimo-Gewitter des Ensembles schiebt. Ohne komponierte Übergänge schmerzt der grelle Kontrast und erzeugt damit eine ähnliche Wirkung wie die radikalen Werke Fred Friths, der als Adressat der Hommage plakativ hervortritt. Der Gitarrist des Ensembles, Scott Fields, zweifelsohne ein Apologet Friths’, ist der zweite Ehrenträger. In ähnlicher Weise rekurriert Conlon Zoubeck auf Conlon Nancarrows Konzeption des Player Pianos und ist gleichzeitig eine Hommage an den Solisten Philip Zoubeck, der quasi-mechanisch den Tonvorrat im Verlauf des Stücks von der Mitte der Klaviertastatur immer weiter in ihre Randbereiche ausdehnt.
Der verspielte Umgang mit Namen und Konventionen scheint die gesamte Arbeit des aufspielenden Ensembles zu durchziehen: Das Multiple Joy[ce] Ensemble ging aus dem James Choice Ensemble hervor – beides Wortspiele mit dem Namen des irischen Autoren, dem das 20. Jahrhundert den stream of consciousness verdankt. Aus dieser künstlerischen Konzeption wiederum könnten sich die Ideen für die Werke von Matthias Schubert speisen, wirken sie doch wie ausnotierte Improvisationen, denen die Assoziation alles und die klangliche Homogenität das erklärte Feindbild ist. Bisweilen wirkt es gewalttätig, wie hier zusammengebracht wird, was nicht zusammen gehört. Die Widerstände des musikalischen Materials selbst gegen dieses Verfahren hörbar werden zu lassen, ist wohl der große Verdienst dieser Aufnahmen.
Mitunter scheitert der Versuch aber auch einfach grandios, wie bei der vergleichsweise naheliegenden Fusion von Boulez’ serieller Technik und der archaischen Tonsprache des frühen Strawinsky in – ja richtig – Boulevinsky. Wenn sich das Material am Ende dann doch fügt, entstehen überraschende Collagen und ungehörte Querverweise, wie etwa in den Stücken Anthonykowski oder Ende der Zeit. Wer an Experimenten dieser Art Gefallen findet, bei denen noch dazu das Ergebnis ein sehr diverses ist, der wird an dieser CD seine Freude haben.

Patrick Klingenschmitt