Goldstein, Malcolm

A Sounding of Sources

Verlag/Label: New World Records 80676-2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 90

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

 

Malcolm Goldstein, geboren 1936. Je nach Witterung hat er viele Jahre lang die Sommermonate in den Wäldern von Vermont zugebracht, in einer kleinen Hütte. Dort hat er der Natur gelauscht, hat Musik entwickelt. Goldstein ist Geiger, Komponist, Lehrender. Ein Geiger, der wie alle Violinisten gelernt hat, seine Bogenhand perfekt zu kontrollieren, zu koordinieren, mit ihr musikalisch zu gestalten. Doch halt: Kontrolle? Goldstein, inzwischen noch weit radikaler und konsequenter in seinen gestischen Ausformungen, folgt beim Improvisieren nicht in erster Linie dem Klang, einem musikalisch-gestischen Impuls oder einer formalen Idee, sondern der Schwer­kraft seiner Bogenhand und seines rechten Arms. Dies zu beherrschen, ermöglicht theoretisch beides: völlige Kontrolle oder aber auch völliges Geschehenlassen des gestrichenen Klangs.
Im Solostück Configurations in Dark­ness aus dem Jahr 1995 setzt er beide Möglichkeiten ein, interpretiert er eine eigene, strukturierte Improvisation-Komposition. Goldstein spielt melodisch, setzt auf Motivumspielung und -Variantenbildung, vor allem aber auf klangfarbliche Differenz. Und diese kann sich blitzartig ändern, erreicht er über die perfekte Kontrolle bzw. Acht­samkeit bezüglich der Schwerkraft seines Bogenarms.
Ebenfalls 1995 entstand Configuration in Darkness für Ensemble – ein Stück, bei dem man sich gelegentlich wundert: ein Klänge und Motive spielender Radu Malfatti (Posaune), volks­musikalische Klänge – Bosnien-Herzegowinas Volksmusik diente in dieser strukturierten Improvisation den Solisten als Ausgangsmaterial; Goldstein bezieht sich damit auf den von 1992 bis 1995 dauernden Bosnienkrieg.
Zwei weitere Werke verweisen über ihre Titel aufeinander: Ishi/timechangingspaces und Ishi/«man waxati» Soundings, beide aus dem Jahr 1988. Ersteres ist ein Radiostück, entstanden für das Studio Akustische Kunst des WDR. Ishi, der letzte Überlebende eines Indianerstamms, wurde 1911 von Anthropologen in Berkley vor dem Verhungern gerettet. Auf Wachswalzen machten die Forscher Aufnahmen von Ishis Muttersprache und seinen Gesängen. Die historisch bedingte und genauso auf die unwiederbringliche Vergangenheit verweisende «schlechte» technische Qualität der Wachswalzen-Aufnahmen faszinierten Goldstein. Er bearbeitete diese Gesänge vor allem mittels diverser Filter, schichtete, über­lagerte, loopte sie und übertrug so deren Grundmuster der Repetition in eine elektroakustische Komposition. Zu diesem nach und nach zur Unkenntlichkeit überlagerten und geräuschhaft verfremdeten Gesang setzte Goldstein Geigenklänge hinzu, die mehr organisch das Geschehen linear begleiten als einen Kontrapunkt bilden. Aus denselben Sprachaufnahmen entwickelte Malcolm Goldstein seine strukturierte Improvisation Ishi/«man waxati» Soundings. Vokale Gestik, klangfarbliche Nuancen, tonale Strukturen der Gesänge nimmt er als Basis für sich immer wieder aufbäumend-verdichtende Klangkaskaden.

Nina Polaschegg