Antheil the Futurist

Piano Music of George Antheil

Verlag/Label: Wergo WER 67622
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 85

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Die Rolle des jungen Revoluzzers spielte George Antheil, der US-amerikanische Musiker mit deutschen Vorfahren, als er nach dem Ersten Weltkrieg als Pianist und Komponist in Europa auftrat: zunächst 1922 in Berlin, dann ab 1923 zeitweilig in Paris. Mit seinen Konzerten, deren Programme vorwiegend eigene Stücke des selbsternannten «Pianisten-Futuristen» enthielten, traf er den Nerv der Zeit und galt schnell als eine der Speerspitzen der Avantgarde, so etwa dem jungen Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt, welcher An­theil als Genie feierte.
Auch wenn sich Antheil später als «Bad Boy of Music» darzustellen versuchte (so der Titel seiner Autobiografie), so vermitteln die Kompositionen ein anderes Bild von ihrem Schöpfer. Bei allem Avantgarde­anspruch fehlt ihnen die Verbissenheit, das pathetische Sendungsbewusstsein von Zukunftsaposteln. Wo Werktitel von Maschinenverehrung künden, löst die erklingende Musik dies nur mit einem Augenzwinkern ein. Nie ist sie rein motorisch (trotz Vortragsanweisungen wie «mechanistically») oder barbarisch; brillant und unterhaltsam erklingt sie, voll spielerischen Charmes und oft geradezu slapstickhaft in ihren verblüffend schnellen, überraschenden Wendungen.
Nur Weniges von seinen Klavierwerken veröffentlichte Antheil zu Lebzeiten; viele Manuskripte nahmen einen abenteuerlichen Überlieferungsweg und sind erst in jüngerer Zeit wieder entdeckt worden, sodass die vorliegende CD einige Erstein­spielungen bisher unbekannter Wer­ke oder Werkfassungen enthält. Von da­her muss Antheil immer noch als großer Unbekannter gelten, was dazu führt, dass sich beim Kennenlernen seiner Musik unweigerlich die Versuchung einstellt, Vergleiche zu ziehen.
Erik Satie scheint oftmals nicht weit, zumindest wenn Antheils Klaviermusik so herrlich trocken und pointiert serviert wird wie in der Interpretation Guy Livingstons. Dann wieder fühlt man sich an Skrjabins ekstatische Triller-Kaskaden erinnert, wenn Antheil ein Feuerwerk in Tö­nen schildert, oder für kurze Momente geradezu in Strawinskys Petruschka versetzt. Doch inmitten aller akustischen Beschwörungen von «Airplanes» oder sonstiger «Machines» taucht auch einmal ein ganz nostalgischer Walzertonfall auf.
Antheil ist das Genie der kleinen Form, auch wenn sie den guten alten Namen der «Sonate» führt, ob es nun um die ganz vom Ragtime inspirierte, nicht einmal zwei Minuten währende Jazz Sonata geht oder die ebenfalls in der ersten Berliner Zeit entstandene, immerhin viersätzige Sonate sauvage.
Guy Livingston, der all dies witzig und brillant in Szene setzt, hat auf der vorliegenden CD-Neuveröffentlichung noch zwei Mitstreiter: Philippe Keler, der mit ihm zusammen höchst vergnüglich die Suite für Klavier vierhändig musiziert, sowie Stéphane Leach, der bei der Komposition Serpent mechanique den dritten Klavierpart übernimmt: Das im Original auf Pianola-Rolle aufgezeichnete Stück ertönt hier in einer Bearbeitung Guy Livingstons für drei Pianisten.

Gerhard Dietel