Apotheosis | The Best of Einojuhani Rautavaara

Cantus arcticus | einzelne Sätze aus: Clarinet Concerto | Autumn Gardens | Manhattan Trilogy | Gift of Dreams (Third Piano Concerto) | Angel of Light (Seventh Symphony)

Verlag/Label: Ondine ODE 1081-2
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 80

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 2

Nach dem Tod von Joonas Kokkonen gilt Einojuhani Rautavaara (*1928) als Nestor der finnischen Gegenwartsmusik. Seine Tonsprache entwickelte sich im Zickzack. Klang sein Frühwerk neoklassisch, so wandelte er sich in den 1960er Jahren zum Konstruktivisten, bevor er romantischen Neigungen nachgab. Seine meistgespielte Komposition, der «Cantus arcticus» (1972), ist ein impressionistisch getöntes, mystisch anmutendes «Konzert für Vögel und Orchester» (mit Zuspielung arktischer Vogellaute). Der Popularität dieses Bestellwerks der Universität Oulu ist es zu danken, dass die vorliegende Häppchen-Kollektion das zwanzigminütige Werk in voller Länge hören lässt: in einer klangatmosphärisch bezwingenden Wiedergabe.
Die naturmagischen Vogelstimmen, die im Kopfsatz in den Holzbläsern widerklingen, wurden in der Sumpflandschaft von Österbotten aufgenommen (worauf der Titel des ersten Satzes «Suo» hinweist). Der Geistervogel des zweiten Satzes «Melankolia» ist die nordische Küstenlerche (Ohrenlerche), um zwei Oktaven heruntertransponiert. Singende Schwäne mischen sich in das collageartige Klangbild des Finalsatzes ein, den vier aleatorisch entbundene Orchestergruppen in wachsenden Ringen aufwölben, bevor er sich ins Grenzenlose verliert.
«M’illumino / d’immenso» – dieser epigrammartige Zweizeiler von Giuseppe Ungaretti könnte als Motto die Perlenschnur zieren, die das finnische Label Ondine für seine Best of-Edition auffädelte: Bruchstücke aus Rautavaaras Orchestermusik der letzten beiden Jahrzehnte, die ihn von seiner verführerischen Seite zeigen: als Schöpfer mählich sich fortschreibender, schier unendlicher Melodiezüge. Der langsame Satz aus dem Klarinettenkonzert von 2001, das der Amerikaner Richard Stoltzman mit seiner betörenden Blaskunst adelt, der dritte Satz aus der herbstfarbenen Trilogie für Kammerorchester «Autumn Gardens» (1998/99), die Tagträume der «Manhattan Trilogy» (2005) und nicht zuletzt der «Come un sogno» überschriebene dritte Satz seiner 7. Symphonie «Angel of Light» (1994), worin zwei Kindheitserlebnisse nachklingen (Traumkämpfe mit einem Engel, eine orthodoxe Bischofsweihe im Inselkloster Valamo auf dem Ladogasee) – sie alle ziehen melodische Linien gleichsam ins Unendliche, entwerfen unumschränkte Traum­landschaften der Seele.
Dass Rautavaara auch eine dramatische Ader besitzt – ist er doch neben Aulis Sallinen und Kalevi Aho einer der fruchtbarsten Opernkomponisten Finnlands –, daran erinnert außer dem energischen Finalsatz des 3. Klavierkonzerts «Gift of Dreams» (1998, Titel nach Baudelaires Gedicht «La Mort des Pauvres») auch der vierte Satz seiner 6. Symphonie, die Material seiner Künstleroper «Vincent» verarbeitet: «Apotheosis» (1992/1996). Das Schwedische Radio-Sinfonieorchester unter Mikko Franck gibt dieser «Van Gogh-Fantasie» höchste künstlerische Weihen. Das Gleiche gilt für Vladimir Ashkenazy, der die Philharmoniker Helsinki im dritten Satz des Klavierkonzerts «Gabe der Träume» vom Flügel aus leitet.

Lutz Lesle