Cage, John

As it is

Verlag/Label: ECM New Series 2268
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

1988 besuchte John Cage Russland. Dort traf er den Pianisten Alexei Lubimov, der bereits in den 1960er Jahren in seinem Heimatland die Musik des amerikanischen Komponisten zur Aufführung brachte, vorwiegend abseits offizieller Bühnen, im Untergrund. Die Sängerin Natalia Pschenitschnikova lernte den Komponisten während einer Diskussionsrunde kennen, die Lubimov an einem Moskauer Musikkonserva­torium veranstaltete. Das der CD beiliegende Begleitheft dokumentiert in Schwarz-Weiß-Fotografien Cages Besuch in der Akademie. Die Fotos versprühen eine nostalgische Qualität; sie zeigen etwas, das unwiederbringlich in der Vergangenheit liegt. Diese Atmosphäre greift die Musik auf.
Auf der CD befinden sich Solostücke für Klavier, das vorwiegend als präpariertes Instrument in Erscheinung tritt, und Vokalarbeiten. In diesem Fall wird Pschenitschnikova von Lubimov begleitet. Interessant ist die Zusammenstellung der Stücke. Das Lied At East and ingredients stammt aus dem Jahre 1932 und zählt zu den frühesten Kompositionen Cages, die erhalten geblieben sind. Es basiert auf einem Text von Gertrude Stein, den Pschenitschnikova mit Gesangsfiguren interpretiert, die wie die schnellen Pirouetten einer Tänzerin klingen. Für den Choreografen und Tänzer Merce Cunningham schrieb John Cage das Eingangsstück Dream: eine sanfte Komposition, die eine träumerische Wirkung erzeugt.
Lubimov versteht sein Handwerk und lässt Pschenitschnikova genügend Freiräume zur Entfaltung. Etwa bei dem Stück Nowth upon Nacht, in dem er lediglich den Klavierdeckel mehrmals zuschlägt. Den Nachhall füllt die Sängerin mit einem energischen Appell aus, der auf nur einem Ton basiert. Einfachheit zeichnet auch die anderen Kompositionen aus. A Flower rekurriert auf eine Skala, die lediglich aus vier Tönen besteht. Die Melodie wird von dezenten perkussiven Klaviereinlagen begleitet. Zum Schmunzeln laden die in der Partitur eingetragenen Tier-Imitationen ein: Manchmal quakt Pschenitschnikova wie eine Ente. In Experience No. 2 fühlt sie sich wiederum in eine melancholische Melodie ein, die an ein Volkslied erinnert.
Ein Highlight der CD ist die sehr kurze Komposition A Room. Die Präparation des Klaviers gibt dem Instrument einen elektronischen Klangcharakter, den Lubimov eindrucksvoll umzusetzen versteht. Der Pianist bringt souverän Klammern, Schrauben und Radiergummis zum Klingen – ein Klang, der noch lange im Ohr bleibt.

Raphael Smarzoch