Volmar, Axel / Schröter, Jens (Hg.)

Auditive Medienkulturen

Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung

Verlag/Label: [transcript], Bielefeld 2013, 460 Seiten, zahlr. Abb
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 91

Die Frage, was «Musik» wohl sei und was sie im Innersten zusammenhalte, ja woher sie sich nähre und worauf sie abziele, treibt die traditionelle Musikologie seit ihrer Ernennung zur wissenschaftlichen Geistes-Sonder-Disziplin um. Ihr Manko aus heutiger Sicht: Sie achtete die Umstände nicht, z. B. die Medien: Inwiefern sind sie dem immanent, was wir als Musik rezipieren, was bewirken sie und wie schreiben sie sich ein? Was überhaupt meint in diesem Zusammenhang «Medien»?
Die Spur führt über Foucault, McLuhan und Kittler. Die Hoffnung dahinter ist, zu einem Musikbegriff zu gelangen, der auch der Musikwissenschaft wieder einen Zugang zu aktuellen Diskursen eröffnet. Denn an ihrem Beispiel lässt sich ablesen, wie sehr eine fakultative Disziplin von ihrer Zeit überholt werden kann und in nur wenigen Dekaden einen existenziellen Bedeutungsverlust erleidet. Wie nähere ich mich einem Werk nicht notierter Musik? Wie fasse ich sein Material, das sich einzig als gestalteter Klang vermittelt und je historisch, performativ, narrativ, anekdotisch, abstrakt oder wie auch immer angelegt ist? Ziel ist das möglichst objektive Urteil. Die klassischen Analysewerkzeuge wie Bestimmung des Metrums, der Tonhöhe und Linie, der Farbe und Klangarchitektur, bzw. harmonischen Un-/Ordnung reichen nicht mehr hin.
Das vorliegende Buch setzt hier als Plädoyer für eine Hinwendung der Musikologie zur auditiven Kultur mittels Methodik der Medien- und Kulturwissenschaft an. Es folgt damit der Idee der New Musicology und Sound Studies, deren Quell im Bedeutungsgewinn des Begriffs «Sound» liegt. Mit dem Ziel also, den Blick über den Niederungen spezifischer Wissenschaftsdomänen zu halten, sie aber gleichzeitig als die Höhe des Gebirges begründende Sohle wissend einzubeziehen, steuert man auf eine Idee der transdisziplinären Klang-Wissenschaft zu – und findet sich im Hochmoor wieder. Denn so divers das Ziel, so auch die Wege dahin.
Lasst uns reden über Klang als medial wie kulturell bedingten Hör-Gegenstand. Wer macht mit? Wie wollen wir reden, worüber und wozu? Der Untertitel gibt Auskunft: Techniken des Hörens und Praktiken der Klanggestaltung. Das sind «konkrete, sozio-technische Konstellationen, Netzwerke oder Dispositive, in denen Klänge verschiedenster Art operieren und Fertigkeiten des Hörens ausgebildet werden» sowie «Auswirkung [der Klanggestaltung] auf Operationen, Diskurse, Wahrnehmungsweisen und die Ästhetik der Klänge». Anerkennendes Schürzen der Lippen – ja, das ist gut.
Was also können Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Geschichts-, Medien- und Kulturwissenschaften, ja selbst die Anthropologie und der Instrumentenbau zum Diskurs beitragen? Eine Frage, die sich tatsächlich durchgängig bei der Lektüre des formal lobenswert einheitlich strukturierten Kompendiums stellt. Denn unter dem Strich weisen die eng gesteckten, fachspezifischen Beiträge den Weg auf jene Höhenzüge der Metawissenschaft des Klangs und der Musik selten aus. Dazu verknüpfen sie zu wenig, kommen manches Mal inhaltlich kaum über die kommentierte Bibliografie hinaus und klingen am Ende zu oft nach Rechtfertigung ihres Daseins im Konzert der Disziplinen. Allzu oft entsteht der Eindruck, der Klang stehe gegen die Idee, die zu ihm führt. Nicht in der Abgrenzung, sondern in der Öffnung aber fruchtet das transdisziplinäre Modell. Der Disziplinen-Sumpf lässt sich nicht mit einem Mal trockenlegen, von vielen Seiten her jedoch urbar machen.
ABER: Der transcript-Verlag macht mit diesem Buch einen richtigen und wichtigen Schritt zur Öffnung des Denkens angesichts aktueller Klang-Kultur, die auch der traditionellen Geistesdisziplin nicht egal sein kann; bei aller hier geäußerten Kritik ein durchaus empfehlenswertes, weil vielfältig anregendes und einzelne Bereiche zur Audio- und Medienkultur gut ausleuchtendes Buch, das jedem Fachstudium anempfohlen sei. Vielleicht hilft es ja tatsächlich, die geistigen Ohrenschützer der auf der anderen Seite starr sich gebenden traditionellen Musik-Denker zu lüpfen.

Andreas Hagelüken