Ablinger, Peter

Augmented Studies

Verlag/Label: Maria de Alvear World Edition 0023
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 84

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 4
Booklet: 3

Die geballte Ladung an Stücken für bis zu 22 Flöten, allesamt von Erik Drescher realisiert, lässt diese siebzigminütige Produktion in ihrer Gesamtheit etwas abwechslungslos erscheinen und unterstreicht den Umstand, dass man Peter Ablingers Arbeiten am ehesten würdigen kann, wenn man sie als Solitäre, nämlich mit Bezug auf die jeweils individuelle konzeptuelle Fragestellung und die daraus entspringenden Klangereignisse hört. Nimmt man sich unter dieser Voraussetzung die Kompositionen und die darin greifbare Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Redundanz nacheinander vor, kann man in der Tat Zeuge einiger beachtlicher Momente werden, basierend auf der klaren Regeln unterworfenen Konfrontation einer Flöte mit sich selbst in medial reproduzierter Form oder mit einem anderen Klangdokument.
Da ist beispielsweise SS. Giovanni e Paolo (2007/12), benannt nach der venezianischen Kirche, aus der das klangliche Fundstück – das im Kirchenraum widerhallende Geräusch einer Reinigungsmaschine – stammt, das Ablinger als Ausgangspunkt für die Aktionen einer Glissandoflöte nutzt. Resultat ist ein instrumentaler Kommentar zum zugespielten Klangobjekt, eine gleichsam analytische Annäherung, die sich klanglich an das fixierte Alltagsmoment anschmiegt und doch zugleich auch immer wieder Differenzen zu ihm markiert.
Frappierend ist auch die Moiréstudie für Chiyoko Szlavnics (2012), die Ablinger für 22 gleiche Instrumente mit der Möglichkeit kontinuierlichen Glissandos geschaffen hat: Ein identischer diatonischer Cluster wird hier von zwei Flötengruppen in zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten in allmählicher Aufwärtsbewegung durch den Tonraum geführt, was zu einer kontinuierlichen Veränderung der resultierenden Klangflächen im Sinn eines changierenden Anwachsens und Abnehmens harmonischer Dichtezustände führt. Mit der damit einhergehenden Zunahme mikrointervallischer Reibung verlieren die Klänge jeweils ihren instrumentalen Charakter und nähern sich dem komplexen Eindruck elektroakustischer Klangwirkungen an.
Einen weniger zwingenden Eindruck hinterlässt die älteste Komposition der CD: Ohne Titel/3 Flöten (1989–91), eine Folge von Stücken, in denen die Möglichkeiten dreier unterschiedlich temperierter Flöten aufeinanderprallen, wirkt in der Umsetzung etwas trocken und behäbig, obgleich das Konzept einer Gegenüberstellung unterschiedlicher äquidistanter Teilungen der Oktave und deren Übertragung auf die Proportionen der Tempi reizvoll erscheint.
Anders dagegen die eröffnenden Hypothesen über das Mondlicht (2012) für 16 Flöten, die sich, basierend auf einem mikrointervallischen und mikrorhythmischen Proportionskanon, einem visuellen Phänomen annähern: der rhythmischen Komplexität von Spiegelungen des Mondlichts auf einer Wasseroberfläche. Gerade hier wird Ablingers Bemühen greifbar, sich dem Pool alltäglicher Wahrnehmungserfahrungen mittels einer ab­strakten und nach algorithmischen Prinzipien organisierten musikalischen Fragestellung anzunähern und sie damit in ein Kunstobjekt zu trans­formieren.

Stefan Drees