Eichberg, Søren Nils
Before Heaven, Before Earth
Symphonies 1 & 2
Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3
Das hätte man unserer mit Studiengängen und Examina zugepflasterten Berufswelt Musik kaum mehr zugetraut: dass sich ein Pianist ohne Kompositionsstudium zum Tonschöpfer bestimmt, selbstgewiss seinem Ingenium folgt, seine Noten in die richtigen Kanäle lenkt, den Nerv der Musiker trifft, dem Klassik-Publikum behagt und Programmplätze bei namhaften Orchestern, Ensembles und Musiktheatern erobert.
Søren Nils Eichberg, 1973 in Stuttgart geborener Sohn eines dänisch-deutschen Elternpaars, ist solch ein Handstreich gelungen. In Dänemark aufgewachsen, studierte er Klavier in Kopenhagen und Köln. Der kompositorische Durchbruch gelang ihm 2001, als sein von grönländischem Trommelgesang inspiriertes Konzertstück Qilaatersorneq für Violine und Orchester den ersten Preis des Brüsseler Königin Elisabeth Wettbewerbs errang. 2006 hob das Symphonieorchester Odense seine erste Symphonie aus der Taufe. 2011 spielte das Danish Horn Trio sein 2007 geschriebenes Horntrio bei Dacapo ein. Ein Jahr zuvor schon wählte ihn das Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks für drei Spielzeiten zum «Composer in residence» eine Auszeichnung, die es in seiner 85-jährigen Geschichte überhaupt zum ersten Mal vergab.
«Meine Komponistengeneration brennt darauf, mit dem Publikum zu kommunizieren», erklärt Eichberg, als hätte sich die alte Garde ausnahmslos als Bürgerschreck aufgeführt. «Wir sind nicht darauf aus, die Leute zu belehren. Wir wollen nur gute Musik machen, vor der sich die Hörer nicht die Ohren zuhalten müssen.» So einfach ist das also. Etwas zu simpel, um wahr zu sein?
Eichbergs erste Symphonie von 2006 trägt einen Sturm-und-Drang-Titel vor sich her: Stürzten wir uns in Feuer. Die Worte entstammen dem Buch Das Jesus-Evangelium des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago. Dessen magische Vision einer Menschheit, die «nach Flammentod sich sehnet», traf den jungen Komponisten wie ein Erkenntnisblitz in einem Augenblick, «da Europa aufs Neue einen Angriffskrieg führte und die politischen Strömungen, die es sechzig Jahre zuvor in Trümmer gelegt hatten, wieder den Vormarsch antraten.» Entsprechend gewaltsam dröhnt die von Pauken- und Trommelattacken zerrüttete Symphonie, gegen die sich Nielsens Vierte wie ein elementares Bekenntnis zum Leben ausnimmt. Einzig im zweiten Satz wagen sich lyrisch aufgelichtete Momente vor.
Die 2008 bis 2010 entstandene Sinfonie Nr. 2 Before Heaven, Before Earth zehrt von Ideen, die den Komponisten während eines Stipendienaufenthalts in Italien überkamen und zudem in ein Doppelkonzert, eine Oper und ein Orchesterstück für das Ensemble Modern eingingen: In Circles. Ziehen seine Gedanken hier eher rastlose, flüchtige Kreise, wirkt das Tonmaterial in der Symphonie stärker durchgearbeitet. Einem thematischen Kontrastpaar entspringend, zeichnet sich das klassische Modell Hauptsatz langsamer Satz Finale ab, doch ohne Satzpausen. Wie ehedem wird die anfängliche Themen-Exposition wiederholt. Das einleitende ad libitum der Streicher taucht am Werkende in neuem Licht wieder auf. Der Werktitel entstammt einem Vers des chinesischen Weisen Lao-tse.
Christoph Poppen führt das Sinfonieorchester des Dänischen Rundfunks sendungsbewusst durch die urwüchsigen, bildkräftigen, tonal geerdeten Erzähllandschaften Eichbergs.
Lutz Lesle