Honneth Axel / Peter Kemper / Richard Klein (Hg.)

Bob Dylan

Ein Kongreß

Verlag/Label: Suhrkamp, Frankfurt/Main 2007
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 93

«One says to the other, no man sees my face and lives» … Dylans Worte aus seinem Song I and I (1983) hallen bedrohlich und musikalisch prägnant im Ohr: Ausgerechnet Repräsentanten der «Frankfurter Schule» haben versucht, Dylan in Form eines Dylan-Kongresses «ins Gesicht zu sehen» – wobei dem verblüfften Leser noch die zynische wie totalitäre Ächtung in Erinnerung ist, mit der Adorno alles belegte, was irgendwie mit der Song- und Pop-Kultur der 1960er Jahre zu tun hatte, abgesehen von seinen dilettierend-arroganten Verunglimpfungen des Jazz.
Nun ist heute auch in den der U- und Pop-Kultur fernsten Sphären angekommen, dass Dylan kein Beatle und kein Rolling Stone ist, sondern ein chaplinesk scheinender Rabbiner, der mit shakespeare-homerischem Sprach-Drive und mit dem biblisch-babylonischen Sound seiner Stimme Raum und Zeit ins Rollen bringt. Dieser gewisse universelle Radius Dylans trägt eine Art Spiegelungs-Potenzial in sich, das, wie hier deutlich wird, auch in der Lage ist, die Horizonte und Gedankengebäude der hier auf Dylan losgelassenen Geister entsprechend brillant und perfekt zu spiegeln: Wie Gott (frei nach Borges) in der Sphäre der Tiger Tiger ist, so ist Dylan in der Sphäre Adornos ein «Frankfurter», konkret formuliert, wenn Dylan z. B. ein «Gläubiger» ist, so formuliert man: «Der Sprung in den Glauben versucht, sich all dieser Probleme mit einem Schlag zu entledigen.» Oder wenn Dylan formuliert: «Man Gave Names to All the Animals», so erkennt der Autor Wolfram Ette zwar in Dylans Worten einen transzendenten Anfang der Welt, aber in einer «zauberhaften Aneignung durch die Sprache der Kinder».
In diesem Sinn verhalten sich die Essays geistig wie auch sprachlich ein wenig so, als hätten Hegel und Freud gemeinsam über Jesus geschrieben und aus dem Nadelöhr-Blick des baby­lonischen Exils auch manches Kamel entdeckt … Aber Spaß beiseite, abgesehen von einigen formaljuristischen Frankfurter Formulierungszwängen enthält die Essay-Sammlung auch eine immense Menge profunder Informationen zum Werk Dylans, zu seinen Metaphern, die nur auf den ersten Blick wie Bilder und Symbole erscheinen, in Wahrheit aber Kraftfelder und Wirklichkeitsessenzen sind, deren elek­trische und magnetische Ausstrahlung kaum mehr mit Begriffen wie «Lyrik», «Song» oder «Epos» umrissen werden kann. So schlägt etwa Martin Schäfer in seinem brillanten Essay über Utopie und Anti-Utopie immer wieder den Bogen vom menschlich-persön­lichen oder biografischen Detail zur philosophischen Perspektive zwischen Abendland und Neuer Welt, holt Nietzsche und Augustinus ebenso vor die Kamera wie Weggefährten Dylans oder Akteure seiner Songs, leuchtet Hintergründe aus und schärft die Metaphern zu Wirklichkeiten. Oder informiert Peter Kemper in einem hinreißend recherchierten wie engagierten Essay das diffizil-gespannte Verhältnis zwischen Dylan und John Lennon – nicht nur für Dylanologen packend zu lesen!
Trotz des hohen geistigen Pegels der überwiegenden Buch- bzw. Kongress-Beiträge aber ermangelt es einer wirklichen Gesamtsicht Dylans hier an einem zentralen Punkt, den übrigens Adorno ganz bestimmt nicht vernachlässigt hätte: an einem wirklich greifenden Blick auf die Musik!

Hans-Christian von Dadelsen