Schröder, Julia H. / Straebel, Volker (Hg.)

Cage & Consequences

Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2012 | 296 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 90

«Cage & Consequences» ist in vier große Kapitel aufgeteilt, die jeweils einen speziellen Zugang zum Werk des Komponisten präsentieren. Kompiliert ist eine interdisziplinäre Essay-Sammlung aus Überlegungen zur Aufführungspraxis, zum Komponieren nach John Cage oder seinem Verhältnis zur bildenden Kunst. Die Essays basieren auf Vorträgen, die im Rahmen der MaerzMusik 2012 gehalten wurden. Einige der Aufsätze sind in englischer Sprache verfasst. Abgeschlossen wird das Kompendium von einer unterhaltsamen Podiumsdiskussion zwischen Robert Ashley, Christian Wolff, Gordon Mumma, Alvin Lucier und David Behrman.
Sehr interessant ist der Beitrag des Musikwissenschaftlers David W. Patterson, der Cages Verhältnis zur Politik analysiert und dabei auf eine unerwartete Bezugsperson stößt: Mao Tse-tung. Obwohl Cage politischen Aktionen und Agitationen immer ablehnend gegenüberstand, sie als «exercises of power» kritisierte, faszinierte ihn doch der kommunistische Diktator – eine Begeisterung, die zu seiner Zeit nicht unüblich war. Patterson gelingt es nachzuweisen, dass Cages Vorliebe für die Schriften des chinesischen Politikers poetisch motiviert war; der Komponist schätzte die literarischen Qualitäten des Kommunisten. In seinen Aufsätzen zitierte er ihn, veränderte allerdings die Zitate, um sie seinen philosophischen Belangen anzupassen, die hauptsächlich in sozialen Reflexionen zu verorten wa­ren. Diese kreative Aneignung brachte Cage scharfe Kritik von dem überzeugten Maoisten Cornelius Cardew ein. Für Patterson stellt sie eine ambivalente Attitüde dar, die typisch für das Denken von Cage ist.
Der Musiker Tomo Adachi spricht in seinem Essay über den «John Cage Shock», ein Begriff, der von dem Kritiker Hidekazu Yoshida geprägt wurde und auf Cages Besuch in Japan im Jahr 1961 zurückgeht – für die Kunstszene des Inselstaats soll er sehr bedeutsam gewesen sein. Adachi behauptet, dass japanische Künstler sich an westlichen Denkansätzen orientierten, weil Bud­dhismus und Zen im Zweiten Weltkrieg in das Fahrwasser ultranationalistischer Strömungen geraten waren. Mit dem Einfluss von Cage war es den
japanischen Künstlern möglich, sich diesen Geisteshaltungen wieder anzunähern.
Der Kunsthistoriker Dieter Daniels nimmt in seinem Beitrag das Vermächtnis von «4’33’’» unter die Lupe. Wir erfahren, dass es mittlerweile über 54 Aufnahmen des Stücks gibt – nicht zuletzt, weil die Komposition in direkter Verbindung zu Recording-Technologien stünde. «4’33’’» fungiere als ein «Behälter», der mit Klängen gefüllt wird. Dasselbe treffe auch auf Aufnahmemedien zu, die «neutral containers» seien, «non intentional to whatever happens during the time of recording» – ein schöner Gedanke. Außerdem fokussiert Daniels in seiner Analyse auf den Einsatz von Stille im Radio oder die Rezeption von «4’33’’» im Pop und zeigt damit die Vielseitigkeit von Cages Kreation: «it moves in all directions and will be perceived in unpredictable ways.»
Soweit einige Impressionen aus «Cage & Consequences», das ein gelungener Reader geworden ist. Das Werk des Komponisten wird mittels frischer Denkansätze und spannender Interpretationen durchleuchtet. Um die Fülle an Ideen und Referenzen besser navigieren zu können, wäre ein Personen- und Sachregister hilfreich gewesen.

Raphael Smarzoch