Chick Corea & Friedrich Gulda: The Meeting

Mitschnitt vom Münchner Klaviersommer 1982 | Mozart: Sonate C-Dur KV 330 und Improvisationen | 150 min.

Verlag/Label: Arthaus Musik 101634
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 82

Friedrich Gulda war eine Doppelnatur. Mozart spielte er genauso hingebungsvoll wie Jazz und freie Improvisation. Und wenn er ihn vor einem Publikum wie beim «Münchner Klaviersommer» spielte, das mehr aus Jazzhörern als aus eingefleischten Klassikfreunden bestand, so klang er nochmals ganz anders. Beim Label Arthaus sind jetzt zwei Dokumentationen von diesem Sommerfestival erschienen, das in den 1980er und -90er Jahren in München eine lebendige Alternative zum museal gewordenen Klassikbetrieb bildete und das Publikum zu Tausenden anzog.

In einer Dokumentation vom Klaviersommer 1982 spielt Gulda zunächst abwechselnd, dann gemeinsam mit Chick Corea. Die Solovorträge der beiden Pianisten könnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Gulda ist der mehr analytische, strukturell denkende Improvisator, bei dem letztlich immer wieder die alte Dur-Moll-Tonalität durchschimmert, Corea der ungebundenere, in fantastische Regionen abgleitende Klangerfinder, dem sogar konsequent durchgehaltene atonale Improvisationsstrecken gelingen. Ihr fast einstündiges Spiel im Duo bildet den unbestreitbaren Höhepunkt des Konzertmitschnitts, und hier ergänzen sich die beiden gegensätzlichen Charaktere auf unnachahmliche Weise. Perfekte Harmonie, blitzschnelles Reagieren und Witz kennzeichnen das Zusammenspiel, auf das sie sich ohne jegliche Absprache eingelassen haben. Über den Reichtum der Ideen und die Brillanz ihrer Umsetzung kann man nur staunen. Spontaneität und Reflexion verschmelzen zu einem Musizieren auf höchstem Niveau, und man verfolgt gebannt die Klangspur ihres kreativen Denkens. Die gängige Auffassung, nach der Improvisation bloß eine Vorform von Komposition sei und hierarchisch unter dieser stehe, wird nachhaltig infrage gestellt, und beim Hören und Sehen dieser spannungsreichen musikalischen Kommunikation wünscht man sich, dass ein solches Hörerlebnis wenigstens in Anflügen auch bei Konzerten mit komponierter Musik zum Alltag gehörte. Die viel zitierte Krise der neuen Musik wäre wohl mit einem Schlag behoben.

May Nyffeler