Resch, Gerald

Collection Serti / Figuren / Ein Garten. Pfade, die sich verzweigen / Cantus firmus

Verlag/Label: Kairos 0013282KAI
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

«Ich mag Überlagerungen, unvorhersehbare Perspektivenwechsel und heimliche Symmetrien. Außerdem mag ich es, aus einfachem Material Weiterentwicklungen zu erfinden, die logisch sind und trotzdem überraschen», sagt der Österreicher Gerald Resch, der zu den momentan interessantesten Komponisten seiner Generation zählt. Auffallend plastische Gestaltungsmittel auf der einen, prinzipiell unvorhersehbare Abläufe und Mischungen auf der anderen Seite fügen sich bei Resch zu bemerkenswerten kompositorischen Gebilden, deren eigenwillige Auseinan­dersetzung mit Tradition (auch mit «Tonalität») sie ebenfalls auszeichnet.
In «Collection Serti» (2011) vollzieht sich dies in bewusster räumlicher De-Koordination, beinahe wie zufällig. Das Stück war Teil einer raumgreifenden Klanginstallation bei Wien Modern, die dem fiktiven ungarischen Schriftsteller Oskar Serti und seiner Musik­instrumentensammlung huldigte. Sie lieferte die formale Grundlage eines Stücks, wo die Spieler sich mit 14 locker im Raum verteilten Klangkörpern auseinandersetzen. Ohne Koordination durch einen Dirigenten bespielt jeder Musiker sein Instrument völlig autark, woraus allmählich ein immer kompakteres Ensemblestück erwächst. Reschs Raumkomposition (deren Partitur letztlich doch eine wohl aufeinander abgestimmte Kakophonie garantiert) hört sich wie eine gezielte «Verpeilung» geläufiger Ensemblemuster, die Momente wunderbarer Kaputtheit erzeugt. Sie endet wie sie anfängt: mit dem Stimmen der Apparatur.
Verglichen mit der collagenhaften Unberechenbarkeit der «Collection Serti» treten die «Figuren» (2009) ein wenig betulich in Erscheinung. Der gelenkige, mit Vierteltönen angereicherte Klarinetten-Monolog annonciert ein bisschen akademisch Material («Signal» – «Linie» – «Raster» – «Ebenen») und formalen Bauplan («Aufstellung» – «Kombination» – «Auflösung»), ist aber dennoch ganz hübsch zu hören.
Interessant wird es bei Resch im­mer dann, wenn Linien sich kreuzen, verdichten und wieder auseinanderstreben und eine Polyphonie des Heterogenen entsteht, die in jedem Takt Unerwartetes bereithält. «Ein Garten. Pfade, die sich verzweigen» für Bratsche und sieben Instrumente (2000) beginnt als quasi feldmaneskes Umherschweifen im Klang und gerät im Verlauf zu einem immer unwirklicheren, traumverhangenen Flanieren, wo bestimmte musikalische Orte aus immer anderen Perspektiven betrachtet werden.
Schwebt über diesem verwunschenen Garten immer auch der Dunst des Fin de Siècle, wird im monumental besetzten «Cantus firmus» für Orchester und gemischten Chor (2010) ganz schön fett 19. Jahrhundert aufgefahren. Aber das Stück war schließlich als Auseinandersetzung mit Mendelssohns 2. Symphonie «Lobgesang» (ebenfalls mit Chorbeteiligung) in Auftrag gegeben worden und geriet dabei zur vielschichtigen Auseinandersetzung mit der romantischen Sinfonietradition schlechthin. Reschs Duktus pendelt dabei janusköpfig zwischen expressiver Emphase und gebrochener Allusion. Das ist zweifellos eine besondere Qualität von Reschs Musik.

Dirk Wieschollek