Collegium Novum Zürich

Werke von Arnold Schönberg / Heinz Holliger, Erich Schmid, Rudolf Kelterborn, Andrea Lorenzo Scartazzini und Mischa Käser

Verlag/Label: Musiques Suisses MGB CTS-M 135
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 83

Musikalische Wertung: 3
Technische Wertung: 3
Booklet: 5

Innovation, Bewahrung, Vermittlung – dieser dreifaltigen Programmatik fühlt sich das Collegium Novum Zürich verpflichtet. Ihre Vermittlungsaufgabe erkennen die Zürcher schließlich darin, möglichst vielen Menschen den Erbschatz der musikalischen Moderne nahe zu bringen. Wobei die vorliegende Einspielung dem schweizerischen Musikschaffen gilt.
Dem letztgenannten Wirkungsziel kam Heinz Holliger 2006 mit dezentem Farbstift nach, als er die fragilen Miniaturen der Sechs kleinen Klavierstücke op. 19 von Arnold Schönberg in die Sphäre des Kammerensembles übertrug. Gelegentlich wagt der erfahrene Komponist und Oboenvirtuose ein gelindes klangfarbliches Make-up oder Momente eines Nachhalls. Glocken und Trommelschläge des abschließenden Tom­beaus auf Gustav Mahler lassen an eine andere Trauermusik der Entstehungszeit denken: den 4. Satz aus Anton Weberns Sechs Orchesterstücken op. 6.
Auf Schönbergs Spuren bewegte sich auch der kaum bekannte Schweizer Erich Schmid (1907-2000). 1930/31 besuchte er dessen Meisterklasse an der Preußischen Akademie der Künste in Berlin. Tonfall und Aufführungsgeschichte seines Notturno op. 11, das er 1935 nach seiner Rückkehr in die Schweiz komponierte, lassen die künstlerische Einsamkeit des Komponisten erahnen. Erst ein Vierteljahrhundert nach seiner Entstehung brachte die Baseler Ortsgruppe der IGNM das viertelstündige Werk zur Uraufführung. Die Satztitel «Meditation», «Action I», «Ca­non», «Action II», «Conclusion» setzte Schmid erst 1978 für dessen Wiederaufführung durch das Ensemble Intercontemporain im Pariser Centre Pompidou hinzu. Zwar hält er sich an die Zwölftonmethode seines Lehrers, doch führt das lyrisch getönte Werk in eine entspanntere, expressionismus-ferne Ausdruckswelt.
In Deutschland wohlbekannt und geschätzt ist hingegen der Baseler Komponist Rudolf Kelterborn (*1931). Seine mosaikartige, rätselvoll zersplissene «Mu­sik mit japanischen Haikus» Das Ohr des Innern für Mezzosopran (Eva Nievergelt) und Bassbariton (Robert Koller), Violine, Klarinette und Schlagzeug besteht aus drei Teilen, die in unterschiedlicher Gestalt (Reihung, Refrainform, Überlagerung) der gattungs-immanenten «Frage nach Zeitlichkeit und Vergänglichkeit» nachspüren. Zerrissen, entrückt und jenseitig, lässt das abrupt
endende letzte Teilstück «Der Rest der Träume» an Adornos Wort denken: «In der Geschichte von Kunst sind Spätwer­ke die Katastrophen.» Mit seinem Werk­titel Kassiopeia (2008/2010) spielt dessen Schüler Andrea Lorenzo Scartazzini auf das W-förmige Sternbild an. Die Charaktere der fünf Sätze entsprechen cum grano salis der (fast) symmetrischen Anordnung der Vokale: A-I-O-EI-A. Der Mittelsatz ist gleichsam das stille Auge der Kassiopeia, der nur dreißig Sekunden kurze vierte eine klirrende emblematische Chiffre des Sternbilds.
Wie irgendwo aufgelesen und zu wunderlichen Ton-Geräusch-Bildern gefügt, setzt der Zürcher Gitarrist und Komponist Mischa Käser (*1959) in seinem ersten City-Stück von 2004 ein Kaleidoskop heterogener Klangereignisse in Gang. Käser huldigt der Ästhetik einer musica impura, der alles Schallende kunstfähig erscheint – zur Spielfreude des flexiblen Collegium Novum Zürich.

Lutz Lesle