Maderna, Bruno
Complete Works for Orchestra Vol. 5
Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4
Der Beginn von Bruno Madernas Violinkonzert (1969) ist ungewöhnlich: Harsche Klänge und polyphon ineinander verschachtelte Melodielinien bestimmen das Klangbild, chorisch nach einzelnen Instrumentenfamilien organisiert überlagern sich die Aktionen der Klangerzeuger zu einem vielschichtigen Satzbild, das sich immer weiter verdichtet und von zahlreichen Fragmenten aus Madernas Orchesterwerken der 1960er Jahre durchdrungen ist. Arturo Tamayo formt unterstützt sowohl von einem glänzend disponierten hr-Sinfonieorchester als auch von der brillanten Tontechnik der Einspielung die ersten dreieinhalb Minuten zu einem plastischen, sich aufgrund der jeweils in den Vordergrund drängenden Schichten und ihrer Gestaltung auf Mikroebene ständig verändernden Gebilde. Wenn das Orchester dann plötzlich abbricht und nach einer Generalpause Thomas Zehetmair mit einer weit ausgreifenden Kadenz einsetzt, kann man einen ungemein differenzierten Zugang zu dieser Komposition erleben: Wie der Geiger gleich den ersten Klang aufraut und anschwellen lässt, wie er daran anknüpfend die musikalischen Gedanken und Figurationen weiterspinnt, den Tonraum Schritt für Schritt erschließt und seinen diffizilen Part bis in die feinsten Verästelungen der Musik hinein gestaltet, hat große Klasse.
Extrem selten aufgeführt, gehört Madernas Violinkonzert wohl auch aufgrund seiner hohen Anforderungen an den Solisten zu den großen unbekannten Werken der jüngeren Gattungsgeschichte. Und tatsächlich hat das Stück jenseits des immer wieder inszenierten Aufeinanderpralls zwischen solistischem Individuum und klanglich raffiniert gegliederter Masse viel Ungewöhnliches zu bieten. Unter den Händen der Interpreten wird es zu einer Art imaginärem Theater geformt, in dem der melodische Fluss des solistischen Hauptdarstellers immer wieder vehement durch musikalische Interventionen des Orchesters unterbrochen wird oder sein Spiel sich mit dem Vortrag einzelner Orchestermusiker zu einem kammermusikalisch gewobenen Klangstrang voller irisierender Momente vereinigt.
Ganz anders, aber bezüglich der musikalischen Umsetzung nicht weniger fesselnd ist das kürzere Klavierkonzert (1959), das aufgrund einer noch weitaus stärker in den Vordergrund tretenden rhapsodischen Haltung gewisse Berührungspunkte mit dem zehn Jahre jüngeren Werk aufweist. Markus Bellheims Vortrag, den Flügel und dessen klangliche Möglichkeiten vom Ertasten melodischer Linien bis hin zu den perkussiven Wirkungen von Klavierrahmen oder -innenraum ausreizend, lässt wie derjenige Zehetmairs eine Aufladung der Musik durch theatrale Elemente spüren, was dem Werk ein sehr plastisches Profil verleiht. Klar, pointiert und stellenweise überraschend heiter wirkt wiederum Tamayos Umsetzung der mit aleatorischen Anweisungen angereicherten Partitur.
Trotz einer Spieldauer von nur knapp fünfzig Minuten markiert diese nunmehr fünfte Produktion aus der Reihe mit Madernas Orchesterwerken einen wichtigen diskografischen Höhepunkt.
Stefan Drees