Zimmermann, Bernd Alois

Concerto pour violoncelle / Photoptosis / Tratto II

Verlag/Label: Wergo studio reihe, WER 67762
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 79

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Über Das Altern der Neuen Musik machte Theodor W. Adorno sich einst philosophische Gedanken. Aber der Begriff hat inzwischen auch eine ganz nüchterne Bedeutung erhalten, wie anhand dieser CD-Veröffentlichung klar wird. Sie ist die für die heutige Wiedergabetechnik restaurierte Version einer 1972 erschienenen Schallplatte mit Werken des zwei Jahre zuvor aus dem Leben geschiedenen Bernd Alois Zimmermann.
Große, in der Erinnerung verklärte Tote sind auch die meisten Interpreten: der für die neue Musik so engagierte Cellist Siegfried Palm und der damalige Chefdirigent des Sinfonieorchesters des SWF, Ernest Bour. Einzig Hans Zender, der bei einer Aufnahme von Zimmermanns Photoptosis das Radio-Symphonie-Orchester Berlin leitete, weilt noch unter den Lebenden. Wo sich in der Wiederbegegnung mit historischen Tondokumenten so viel Nostalgie einstellt, ist es nur konsequent, wenn auch das CD-Booklet als Begleittext zur Mu­sik den damaligen Originalbeitrag von Georg Kröll reproduziert.
Und wie hat Zimmermanns Musik das Altern überstanden? Aus historischer Distanz blicken wir heute wohl vor allem auf sein Tratto II zurück, eine elektronische Komposition, die 1968 anlässlich der Weltausstellung in Osaka geschaffen wurde. Selbst zur Entstehungszeit war Tratto II bereits eine retrospektive Arbeit: Die Verwendung von Sinustönen gehörte eher in die Pionierzeit der elektronischen Musik in den 1950er Jahren, doch schien sie Zimmermann passend für seine spezielle Raum-Zeit-Ästhetik: «Für mich haben Sinustongemische im­mer einen irgendwie raum- und zeitöffnenden Charakter besessen.»
Die weiteren eingespielten Werke Zimmermanns haben nichts von ihrer Frische verloren. Photoptosis, zu deutsch «Lichteinfall», überträgt, inspiriert durch monochrome Wandflächen von Yves Klein, optische Eindrücke in den Bereich der orchestralen Klangfarben. Faszinierend gelingt es Zimmermann in der Überlagerung zweier Grundelemente ein schillerndes Klangfarben-Crescendo zu entwickeln. Eine Art Intermezzo inmitten der Partitur wird für den Hörer zum vergnüglichen Ratespiel: hier darf er mit detektivischem Spürsinn miteinander collagierte Zitate der Musikgeschichte zwischen Beethovens Neunter, Skrjabins Poème de l’extase und Wagners Parsifal erkennen.
Immer noch faszinieren kann auch die damalige Einspielung des Violoncellokonzerts von 1965/66, en forme de pas de trois, in welchem Zimmermann den Aspekt des Solokonzerts mit dem einer Ballettmusik verbindet, um dadurch «auf ein Drittes hinaus» zu kommen: «die absolute musikalische Form». Den im Wechsel der Spieltechniken äußerst anspruchsvollen Solopart von Siegfried Palm gespielt zu hören, wird zur lebendigen Erinnerung an einen Pionier der neuen Musik, doch gebührt interpretatorisches Lob nicht weniger dem Orchester, dessen Spieler selbst solistische Qualitäten aufweisen und vor allem in den Rahmenteilen der Komposition in Concerto grosso-Manier die Führung übernehmen.

Gerhard Dietel