Aperghis, Georges

Contretemps / SEESAW / Parlando / Teeter-totter

Verlag/Label: Kairos 0013222KAI
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

Der französische Komponist griechi­scher Herkunft Georges Aperghis ist vor allem durch seine spektakulären Arbeiten für das Musiktheater, wie Tristes tropiques nach Claude Lévi-Strauss oder Machinations aus dem Jahre 2000, international bekannt geworden. Doch hat Aperghis in seinem gattungsmäßig breit gestreuten Œuvre auch zahlreiche Arbeiten für Instrumentalensemble verfasst, darunter die beiden 2008 entstandenen Kompositionen SEESAW und Teeter-totter, die für die vorliegende CD-Neuveröffentlichung des Klang­forum Wien unter der Leitung Emilio Pomaricos eingespielt wurden.
Wie die Titel besagen, liegt beiden Stücken eine gemeinsame Idee zugrunde: die bildliche Vision vom ständigen Auf und Ab einer Wippe, welche im Hintergrund wirkend die musikalischen Abläufe beeinflusst. In leicht unterschiedlichen Besetzungen mit ausgewählten Bläsern, Streichern, Schlagzeug und Klavier arbeitet Aperghis bewusst vorwiegend mit Instrumentenpaaren. Kleine Schaukelbewegungen vollführen sie, die keine eigentliche Entwicklung kennen. Bewegungsansätze verebben, und in der Mitte von SEESAW bleibt die Musik sogar auf langen Fermaten stehen, bevor von den beiden Klavieren neue Bewegungsimpulse ausgehen.
In der 2005/2006 entstandenen Komposition Contretemps gesellt sich die Sopranistin Donatienne Michel-Dansac zum diesmal von Sylvain Cambreling geleiteten Klangforum; ihre exaltiert geführte und jäh zwischen den Lagen springende Stimme wirkt wie ein weiteres Instrument innerhalb des aufgerauten Ensembleklangs. Das Singen und Sprechen an sich, ohne eine klar artikulierte Botschaft, wird für Aperghis zum Thema: Wortähnlich klingt manches, doch bleibt Semantisches allenfalls zu erahnen. Keine Zweifel bestehen nur daran, dass hier eine Auseinandersetzung geführt wird. Als «Kampf zwischen der Stimme und den Instrumenten» hat der Komponist sein Werk angelegt, in welchem die Ausnahmesituation zum Regelfall wird: «Es gibt ständig Behinderungen, Umleitungen, Verneinung des eben Gehörten.»
Abgerundet wird diese CD-Neuveröffentlichung durch Aperghis’ Parlando, ein Stück für Kontrabass solo, das dem Titel gemäß den Anspruch einer «sprechenden» Musik stellt und auch einlöst. Die Uli Fussenegger, dem Kontrabassisten des Klangforum Wien, auf den Leib geschriebene Musik von Parlando erweist sich freilich auf weiten Strecken als kein gesetztes, sondern als ein nervöses Sprechen. Aus grummelnder Tiefe heraus erhebt sich die Rede des Instruments bis ins hysterisch überschnappende Falsett, verfestigt Standpunkte in enger Kleinbewegung oder zeigt sich flexibel im weiträumigen Glissando. Hochvirtuos weiß Uli Fussenegger in seiner Interpretation das vermeintlich so plumpe Instrument Kontrabass ertönen zu lassen, wobei er ganz ausgebufft mit den extremen Anforderungen der gelegentlich auf zwei Systemen notierten Partitur zurechtkommt, die ihre schnell wechselnden Spieltechniken bis hin zum «Tapping» des Jazz-Rock-Bereichs ausdehnt.

Gerhard Dietel