Johnson, Tom

Counting Keys

Verlag/Label: Edition Wandelweiser Records EWR 0901
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 82

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 4

 

Der Zusammenhang zwischen Musik und Mathematik zieht sich mindestens seit der Barock-Zeit wie ein roter Faden durch die westliche Musikgeschichte. John McAlpine, der die auf der vorliegenden CD präsentierten Klavierstücke interpretiert, betont in einem der Veröffentlichung beigegebenen Text die mathematisch-exakte Grundlage der Kompositionen des 1939 geborenen US-Amerikaners Tom Johnson. Doch obwohl seinen Stücken streng definierte Ablaufpläne zugrunde liegen, wirkt die jeweilige akustische Umsetzung dieser Pläne weder starr noch intellektuell verhärtet, sondern ist von Schlichtheit und einem natürlich anmutenden Fluss geprägt.
Dies ist bereits in den einzelnen Abschnitten des fünfteiligen Klavierstücks Counting Keys aus dem Jahr 1982 zu spüren. Mit dem Alternieren einfacher Strukturpläne, zu denen kontrapunktische ab- und aufsteigende Linien gehören, steht die Komposition in der Tradition der Minimal Music, die in den frühen 1980er Jahren allerdings bereits eine fast zwanzigjährige Geschichte aufzuweisen hatte. Counting Keys hat darum weniger mit den Gründungsvätern La Monte Young, Steve Reich oder Philip Glass zu tun, sondern erinnert mit seinen klaren, der klassischen Klaviertradition verpflichteten Konstitution und seinen etüdenhaften Formverläufen eher an den Kla­vierzyklus Das Buch der Klän­ge des Bremer Komponisten Hans Otte, das etwa gleichzeitig entstanden ist.
Die genaue Determinierung eines Klanggeschehens und die Pause als deren Antipode bestimmt die auf der CD folgende achtteilige Komposition Organ and Silence for Piano, die zwan­zig Jahre nach Counting Keys entstanden ist. Das Stück stellt konkret durch Unterbrechungen einen als natürlich empfundenen musikalischen Ablauf in Frage und evoziert durch alternierende Phrasen in den tiefen und hohen Registern ein Frage- und Antwortspiel. Dieses zielt auf den scheinbar unentschieden ausgegangenen Streit zwischen zwei der wichtigsten kompo­sitorischen Bestrebungen nach dem Zweiten Weltkrieg: der immer umfassenderen Determinierung musikalischer und klanglicher Details (etwa in der seriellen Musik) und der antipodischen Öffnung bzw. Zerschlagung des Vorgeplanten, wie sie musikhistorisch durch John Cage eingeführt wurden.
Einem genauen Ablaufplan folgt auch die Komposition Tilework, die von kleinteiligen musikalischen Zellen – in diesem Falle Akkorden – ausgeht, die zu verschiedenen Dreiergruppen kombiniert werden. Das die CD abschließende Stück Block Design (ein Terminus aus der Mathematik) aus dem Jahr 2005 hingegen besteht aus 330 verschiedenen absteigenden Arpeggios. Diese strenge Struktur offenbart sich erneut als eine fließende musikalische Bewegung, die eine organisch fortschreitende Entwicklung veranschaulicht.

Thomas Groetz