Krause, Bernie

Das große Orchester der Tiere

Vom Ursprung der Musik in der Natur

Verlag/Label: Antje Kunstmann, München 2013, 280 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 92

Das sorgfältig komponierte und gut übersetzte Buch des Klangforschers und Künstlers Bernie Krause sensibilisiert Lesende auf interdisziplinäre Weise: über eine tiefe Ästhetik des Hörens in Natur und Umwelt; mit Links zu Naturklängen, die zu Musik werden, als wissenschaftliche Kooperation und Community Out­reach – didaktisches Umweltbewusstsein.
Diese Themenmotive wie auch die klangreiche Wortwahl selbst, zusammen mit online erreichbaren Hörbildern, erzeugen Variationen über die Frage, ob und wie Musik aus Natur entstanden ist. In Ungarn hatte der Biologe und Musikologe Szöke schon vor mehr als fünfzig Jahren in der Analyse der einzelnen Vogelstimmen Übergänge zur Musik belegt. Bernie Krauses Buch macht aktuelle Dialoge mit Wissenschaftlern, Künstlern und Hörbegeisterten möglich, vom einzelnen Klang zur komplexen akustischen Nische in der Ökologie der Natur. Die Leitidee vertieft er durch fast poetisch beschriebene Hörbilder aus der ganzen Welt. Das schließt sogar spekulativ, aber anschaulich entworfene Szenen aus vergangenen Zeiten und Räumen mit ein.
Intensives Hören ist die Mitte von Krauses Klangbiografie. Der Künstler und Forscher kommt ursprünglich aus der Unterhaltungs- und Medienwelt. In New York, San Francisco und Los Angeles hat er über hundert Filme mit Sound und Musik gestaltet. Zusammen mit seinem frühen Partner Paul Beaver prägte er die Popmusik mit elektronischen Klängen und Synthesizern. Er hat auch eigene Alben veröffentlicht: Ein Wendepunkt und schon Signal für das Kommende war die Produktion In A Wild Sanctuary, wo erstmals Naturklänge mit Instrumenten zusammenspielten.
Um 1980, als «Midlife Harvest», wie der Pianist Friedrich Gulda das einmal nannte, verkauft Krause seine Studiofirma und verlässt die Medienbranche mit ihrer ungesunden Work-Life-Balance. Er beginnt das inter­disziplinäre Studium am renommierten Union Institute und promoviert über Elektronische Musik und die Analyse und Komposition mit Naturklängen. In San Francisco gründet er «Wild Sanctuary», ein forschendes Studio und experimentierfreudiges Label, für das er weltweit 4000 Stunden Naturklang von über 15000 Arten aufgenommen hat. Heute existieren viele der dokumentierten Klang­orte nicht mehr: Sie sind mit ihren Bewohnern ausgelöscht. Die in Habitaten lebenden indigenen Menschen bezeichnet Krause oft als seine Lehrer beim Hören der Umwelt als Musik.
Aus den archivierten Materialien entstanden Installationen für Museen, Zoos und kulturelle Zwecke, wie für das Museum der Pequot-Indianer in Connecticut. Zusammen mit dem Klangforscher Douglas Quin entwickelte Krause dafür Software-Ver­fahren, mit denen sich akustische Räume wie naturhaft endlos erneuern und weiterentwickeln. Auf CD-Produktionen für die Nature Company komponierte er erfolgreiche Musik, in der elektronische Instrumente mit Naturklängen in Dialog treten. Später wandte sich der Hörbeobachter immer mehr der Wissenschaft zu. Er systematisierte Klang, Zeit und Raum durch die Terminologie von «Geophony, Biophony und Anthrophony», als ein Spektrum nicht-biologischer Naturklänge, wie Wind und Wasser, mit den Tönen der Lebewesen und oft zerstörerischen Geräuschen der Menschen. Mit dieser Triade beschreibt Krause in seinem Text zum Beispiel die vielen Aufnahmen in den Nationalparks der USA, wo Fluglärm sich direkt auf die Tierwelt auswirkt. Bei der Rückkehr zu früheren Aufnahme­orten zeigen sich im Vergleich starke Veränderungen. Viele Klangräume sind durch menschliche Intervention degeneriert. Krause macht solche Erkenntnisse auch visuell deutlich, im Sonagramm und mit dem Begriff der akustischen Nische. Er betont damit, dass jeder Hörort der Welt seine eigene und unverwechselbare Klang­identität hat. Das ist bestätigt auch durch Erfahrungen, die der hiesige Naturklangforscher Walter Tilgner als «Natural Sounds» seit Jahrzehnten mit seinem Kunstkopf aufzeichnet.
HD-Klangaufnahmen der Natur werden für Krause und seine hör­begeisterten Kollegen zur eindrücklichen Botschaft, dass alle Klangschichten wie im Orchester verwoben sind. Biophone Solisten und Instrumente besetzen ihren Hörplatz durch Töne und Rhythmen, und Momente der Stille – was auch Wohlbefinden und Entspannung bei den Menschen bewirken kann. Krause: «Der ganze Planet ist erfüllt von ei­nem kraftvollen Widerhall, der ebenso umfassend und weitreichend wie fein ausbalanciert ist. Jeder Ort mit seinen gewaltigen Populationen an Pflanzen und Tieren wird zur Konzerthalle, und überall führt ein einzigartiges Orchester eine unvergleich­liche Symphonie auf, wobei sich die Töne einer jeden Spezies harmonisch in die Partitur einfügen. Es ist ein hoch entwickeltes, von der Natur geschaffenes Meisterwerk.»

Hans-Ulrich Werner