Kagel, Mauricio

Das Konzert / Phantasiestück / Pan

Verlag/Label: Naxos 8.572635
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Kagels einziges Konzert für Soloinstrument, entstanden zwischen 2001 und 2002, ist in der Essenz eine vollkommen gestisch durchsetzte, anspielungsreiche Interpretation eines «klassischen» Solokonzerts, übertrifft dabei aber noch die Erwartungen, die man an Kagel als maßgeblichen Vertreter des «instrumentalen Theaters» haben könnte. Von der intendierten Offenheit, mit der der Titel kokettiert, werden immer noch Fragezeichen übrig sein, wenn die letzte Phrase am Ende des einen großen Satzes abrupt abbricht. In der Zwischenzeit wird Michael Faust, stets im Dialog mit der Sinfonia Finlandia Jyväskylä unter der konzentrierten Leitung von Patrick Gallois, auf drei Flöten fein nuancierte Stimmungen von unruhiger Schwärmerei und Überschwang bis hin zu melancholischer Niedergeschlagenheit evozieren. Jeder Klang ist identisch mit der ihn hervorbringenden Geste. Frage und Antwort von Flöte und Schlagwerk spinnen den Grundgedanken von Match (1964) fort, während der Streichersatz unentwegt subtile Allusionen an das Konzertrepertoire provoziert.
Als augenzwinkernde Provokation sollte auch der vermeintliche Romantizismus gelesen werden, der sich in Kagels 1987/88 entstandenem Phantasiestück manifestiert. Hier dient das plakative Konzept der Komposition im Stil einer vergangenen Epoche als Vehikel. Die feinsinnige Hommage an Schumann, der als Adressat des Titels ausgemacht werden kann, kontrastiert avancierte Spieltechniken wie Klappengeräusche oder tonloses Blasen ins Instrument mit formalen Gestaltungsprinzipien und melodisch dominierten Passagen, in denen der Zwiespalt von Florestan und Eusebius aus den Fantasiestücken op. 12 wieder auflebt. Kagel transportiert den theatralischen Aspekt der streitenden inneren Dualität in der für ihn einzig möglichen Form in die Gegenwart – als Theater. Michael Faust brilliert mit ungeheurer Klangvielfalt und Expressivität in beiden hier vorliegenden Versionen, sowohl neben dem vielseitigen Paulo Álvares am Klavier als auch mit dem farblich schillernden Ensemble Contrasts unter der Leitung von Robert HP Platz.
In Pan (1985) ist das Ziel von Kagels musikalischem Esprit keine Gattung und auch keine zur Stilistik mutierte Epoche. Es ist die Figur des Papageno, der einst durch Mozarts Musik zum Leben erweckt wurde. Geringer Tonambitus, metrisch simple Perioden und natürliche Tonarten sind seine Gefilde, in denen aber auch Ausflüge in die Transzendenz eines griechischen Naturgottes in Form eines schnell zur Quint aufsteigenden Flötenmotivs angelegt sind. An dieses knüpft Kagel an und lässt die Ambivalenz durch kontemplatives tranquilo und lautmalerische Flatterzunge zum Ausdruck kommen. Alles kumuliert in einem wilden Staccato-Sechzehntellauf, unterlegt von wirren Streichertremoli. Was ist mit Papageno passiert? Er ist scheu, lässt sich in der Musik zwar spiegeln und deutlich erkennen, gleich einem Spiegelbild aber niemals fassen.

Patrick Klingenschmitt