DEGEM CD 11: wandlungen unplump

Kuratiert von Michael Hoeldke

Verlag/Label: Edition DEGEM ed02
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 91

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Die DEGEM-Edition geht in die elfte Runde. Diesmal zeichnet sich der Komponist Michael Hoeldke für die Zusammenstellung der sechs Beiträge verantwortlich.
Den Anfang macht Stefan Schulzki. Er arbeitet mit Mikrofon-Rückkopplungen und der elektronisch bearbeiteten Stimme der Sängerin Beatrice Ottmann, die vielfältig eingesetzt wird. Ottmann kommt als Sopranistin zum Einsatz, rezitiert Textpassagen oder übt sich in lautpoetischer Performance. Schulzkis Everything (Lied II) soll von Dingen handeln, die im menschlichen Leben von entscheidender Bedeutung sind. Es geht unter anderem um den Tod, die Liebe oder das Böse. Ein ambitionierter Ansatz, der allerdings äußerst plump umgesetzt wird und in provokativer Pose erstarrt. Spätestens als die Vokalistin das Sex-Kapitel mit Stöhnen und Ja-Rufen interpretiert, war es mit der Geduld des Rezensenten am Ende.
Die Klangkünstlerin Denise Ritter legt mit der Komposition Outer Shell eine interessante Arbeit vor, die durch tiefe Klangräume und eine unheimliche Atmosphäre überzeugt. Das Stück besteht aus Feldaufnahmen, die im Ruhrgebiet aufgenommen worden sind. Akustische Impressionen aus Spaziergängen, Galeriebesuchen oder Einkaufspassagen wer­den in monochrome Klangfarben ge­taucht. Ein grauer Schleier liegt über der Musik, die mit düsteren Drones und industriellen Rhythmen experimentiert. Dass die Komponistin Einflüsse aus Noise und Industrial verarbeitet und nicht ausschließlich die Tradition der Field Recordings rekapituliert, wirkt erfrischend und macht Lust auf mehr.
Der Produzent Robert Henke ma­nipuliert in seinem Beitrag Klänge, die er mit dem Synthesizer Yamaha SY77 hergestellt hat. Das Stück besteht aus sehr fragilen Sounds, die sich in permanenter Bewegung befinden. Die akustischen Transformationen verlaufen äußerst subtil, beinahe beiläufig. Die Musik drängt sich nicht auf. Man kann ihr aufmerksam zuhören und versuchen, ihren Veränderungen zu folgen, sie aber auch im Hintergrund arbeiten lassen. Dann breitet sie sich wie ein wohlduftendes Parfüm im Raum aus.
Mit über 15 Minuten hat Ralf Hoyer den längsten Beitrag auf dieser CD komponiert. Der Elektroniker experimentiert mit Rauschgeräuschen und Nadelimpulsen. Der Titel des Stücks, residual risk, ist eine Anspielung auf eine politische Diskussion: Es geht um die ambivalenten Qualitäten der Kernenergie. Der Betrieb von Atomkraftwerken ist im­mer mit einem Restrisiko verbunden, das man auch in der Musik zu spüren glaubt. Es scheint, als könnten Hoyers Drones jederzeit in einen atomaren Lärmsturm übergehen.
Den Abschluss machen Brian Smith und Julia Mihály. Ersterer experimentiert mit Feedback-Loops, die ein äußerst unvorhersehbares Eigenleben entwickeln, das allerdings niemals außer Kontrolle gerät. Das Stück changiert durch unterschiedliche rhythmische und metrische Aggregatzustände, die diversen Tempowechseln ausgesetzt sind. Mihály bearbeitet Field Recordings aus Frankfurter U-Bahn-Schächten und von zirpenden Grillen zu hell schimmernden Klangskulpturen von graziöser Schönheit.

Raphael Smarzoch