Steve Lehman Trio

Dialect Fluorescent

Verlag/Label: Pi Recordings PI 42
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 88

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Steve Lehman (Jahrgang 1978) gilt als einer der kommenden Stars der internationalen Jazzszene. Der Saxofonist aus Brooklyn hat einst beim Bebop-Meister Jackie McLean gelernt, später bei Tristan Murail Komposition und Spektralharmonie studiert, um nun an einer Doktorarbeit über französische Literatur zu arbeiten. So aufs Denken abonniert, ist es kein Wunder, dass Lehmans Musik vor Intellektualität sprüht, ohne dabei jedoch steril oder kalt zu wirken.
Vor zehn Jahren fand Lehman erstmals bei einem größeren Publikum Be­achtung, als er mit der Gruppe «Fieldwork» für Furore sorgte. Parallel hob er mehrere Gruppen aus der Taufe, die in verschiedenen Besetzungen seine Kompositionen in Szene setzen. In der Musik des Trios, dem der Saxofonist derzeit die meiste Aufmerksamkeit schenkt, verschränken sich vertrackte Rhythmen mit komplizierten Harmonien zu einem kompakten Gruppensound, aus dem sich Lehmans Altsaxofon immer wieder herauslöst und zu fliegen beginnt. Kontrabass und Schlagzeug funktionieren wie eine feinjustierte Präzisionsmaschine, wobei Damion Reid mit atemberaubenden Kapriolen eher an einen Speed-Metal-Drummer erinnert.
Aus dem energiegeladenen Sog tritt ab und zu ein unbegleitetes Solo hervor, das sich mit Kraft Gehör verschafft. Wenn nicht gerade ein moderner Jazzstandard von John Coltrane oder Jackie McLean anklingt, könnte einem Lehmans Musik wie das Gegenstück zum aktuellen Math-Rock erscheinen. «Math-Jazz» wäre dann die tref­fende Bezeichnung für diese Denkmusik, der es dennoch an Expressivität nicht fehlt.

Christoph Wagner