Schaeffler, Philipp
Die Idee der Bildung im Schaffen von John Cage
Bereits 1927, im jugendlichen Alter von 15 Jahren, formulierte John Cage in einem High School-Aufsatz: «
the Americans will teach all mankind» (womit Nord- und Südamerikaner gleichermaßen gemeint waren). Philipp Schaeffler allerdings geht in seiner Dissertation nicht von Cages Verwurzelung in der spezifisch US-amerikanischen Gesellschaft aus. Er beginnt seine «Annäherung an den Bildungsbegriff» mit ethymologisch-historischen Ausführungen, die einen Bogen spannen von Meister Eckhart über Wilhelm von Humboldt bis in die heutige Zeit und die in ihrer primären Bezogenheit auf die europäische Geistesgeschichte die spätere Übertragung auf Cage doch zumindest schwierig machen. Zumal sein Blick dann in die Neue Welt wechselt, zu Cages Lehrern (Schönberg, Suzuki, Fuller), seinen Schulen (Black Mountain College, New School for Social Research) und Schülern (Christian Wolf, Ben Johnston).
Zugegeben, in diesem melting pot ist viel europäische Bildung, viel europäischer Bildungsbegriff. Aber Cage durchdringt diesen europäischen Boden mit seinen eigenen amerikanischen Wurzeln und bildet Synthesen, die als solche hätten aufgezeigt werden können: Beispielsweise die Auffassung der Natur/des Natürlichen als Lehrer, die u. a. auf den US-amerikanischen Transzendentalismus verweist, mit dem sich Cage in seiner zweiten Lebenshälfte beschäftigte (Naturwahrnehmung als Bildung). Oder auch seine stille Verschmelzung der Predigtkunst Meister Eckharts mit seinen (Cages) eigenen methodistischen Wurzeln. Nicht zuletzt durch diesen Vorgang wird bei Cage die Lehre zur Leere und die Predigt zur Stille (Religion bzw. das über diese Hinausgehen als Bildung). Ebenso sollten Cage und seine gesellschaftlichen Utopien auch diskutiert werden vor dem Hintergrund der facettenreichen Ganzheitslehren des 20. Jahrhunderts, die der modernen Sinnleere vielfältige Sinnlehren mit entsprechenden Bildungsbegriffen entgegenstellen (Versuch der Bildung eines Ganzen). Stattdessen arbeitet Schaeffler sich durch eine Dreiteilung der Idee der Bildung bei Komponist, Interpret und Rezipient, die doch alle unter den gleichen menschlichen Voraussetzungen hätten diskutiert werden können. Und er arbeitet sich durch viel Sekundärliteratur, was ihn letztlich darin hindert, die eigene, durchaus neue und bedenkenswerte Fragestellung klarer und eindeutiger zu fassen.
Was er gleichwohl mit seiner Arbeit und der Diskussion der «Idee der Bildung im Schaffen von John Cage» leistet, ist, Cage vom Rand der Musikwissenschaft ins Zentrum des gesellschaftlichen konkret erziehungswissenschaftlichen Diskurses zu holen. Dazu liefert Schaeffler sehr detaillierte und akribische Kompositionsanalysen des Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra (1950/51) und des 1982 in Bremen uraufgeführten (Schul-) Musikzirkus A House Full of Music. Und an seinen stärksten Stellen gelingt es ihm auch aufzuzeigen, auf welche Weise Cage seine eigene Bildung in der Gestalt seiner Methoden- und Formensprache den Interpreten und Zuhörern als Bildung wieder anbietet.
Thomas M. Maier