Schultz, Wolfgang-Andreas

Die Kugelgestalt des Hörens

Kommt es zu einer Relativierung des Zeitabstandes?

erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 22
Wolfgang-Andreas Schultz über die Hörerfahrung der Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitschichten: «Spätestens ab 1600 lässt sich beobachten, dass ältere Musik weiter gepflegt und gleichzeitig – von den Komponisten verwandelt – in die Gegenwart miteinbezogen wurde. In der Zeit der Klassik, als Barockmusik teilweise in un­gebrochener Tradition oder neu entdeckt weiterlebte, finden wir Versuche, die Stile zusammenzuführen, wie etwa in der Synthese von Sonate und Fuge bei Mozart, wie in der Vielzahl älterer Formen und Stilelemente in seiner Zauberflöte und in Beethovens späten Streichquartetten und Sonaten. Zu dieser Zeit also gibt es schon die Hörerfahrung der Gleichzeitigkeit verschiedener Zeitschichten und eine produktive Reaktion der Komponisten auf diese Erfahrung. […] Ältere Schichten einzubeziehen, als Hörer wie als Komponist, wäre demnach keine Flucht in die Vergangenheit, sondern Vervollstän­digung der Erfahrungen, Korrektur der Einseitigkeit der jeweils aktuellen Musik durch die Anerkennung der Erfahrungen vergangener Zeiten, die durch die Gegenwart nicht ausgelöscht, sondern ergänzt werden.»