Zehentreiter, Ferdinand (Hg.)

Die Musik von Claus-Steffen Mahnkopf

Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2012, 368 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/06 , Seite 92

Dass, wie der Herausgeber im Vorwort bemerkt, Claus-Steffen Mahnkopf im heutigen Diskurs über zeitgenössische Musik mit «seltsamer Einseitigkeit» vornehmlich als Theoretiker und nicht als Komponist wahrgenommen wird, liegt wahrscheinlich nicht so sehr an seiner «Fruchtbarkeit als Buchautor» als an der Selbstbezüglichkeit, mit welcher er sich und seine Arbeit immer wieder verbal umkreist. Sieht man daher einmal von den beiden als Rahmen fungierenden Interviews ab, ist es eigentlich sehr erfreulich, im vorliegenden Band aus fremder Feder etwas über Mahnkopfs Musik erfahren zu können.
Dass dies nicht immer befriedigende Ergebnisse zeitigt, liegt in der Hermetik des Systems begründet, da die Autoren vielfach aus dem Freundes- und Schülerkreis des Komponisten stammen, Mahnkopfs konstruktive Verfahren also verbal sowie unter Zuhilfenah­me einzelner Entwürfe und Skizzen rekonstruiert werden, ohne dass der Versuch erkennbar wird, die Musik von alternativen analytischen Standpunkten aus zu erschließen. Daher sind die Texte, auch wenn sie aufgrund des Umgangs mit der komplexen Materie beeindrucken und eine Fülle hochinteressanter Details verraten – etwa Stefan Beyers Annäherung an das Erste Streichquartett, Franklin Cox’ akribische Einblicke in die Konzeption von La vision d’ange nouveau oder Johannes Menkes Ausführungen zur Ästhetik des Ornaments im Cembalostück Pegasos –, zumeist affirmativ und gelegentlich auch von ei­nem sehr selektiven Wissen um musik- oder philosophiegeschichtliche Kontexte durchwirkt. Besonders drastisch wird dies in Ernst Helmuth Flammers Aufsatz über das Klavierstück Rhizom. Hommage à Glenn Gould sichtbar, der sich wie eine krude Mischung aus philosophischem Halbwissen und Heldenverehrung ausnimmt: Könne doch, so die Essenz, der von Deleuze und Guattari geprägte Begriff des «Rhizoms» keinesfalls der Postmoderne angehören, da diese ja lediglich – Achtung: Klischee! – Beliebigkeit verkörpere, was Mahnkopf, ausgestattet mit untrüglichem «Willen zur Wirklichkeit», durch seine Komposition und deren rhizomatische Struktur geradezu widerlege.
Spannend wird es im Buch überall dort, wo sich die Autoren nicht ganz so nah in Mahnkopfs Umfeld bewegen und daher auch kritische Distanz zu wahren wissen: Insofern handelt es sich bei Rainer Nonnenmanns kursorischer Darstellung der Einzelteile des Pynchon-Zyklus und Egbert Hillers Auseinandersetzung mit dem Opernprojekt void – Archäologie eines Verlustes um wirkliche Bereicherungen, die sich ohne übermäßige Vereinfachung einerseits und ohne philosophisch-theoretische Überfrachtung andererseits um ein Verständnis der Werke bemühen.
Aber auch dort, wo Interpreten wie Barbara Maurer, Peter Veale, Carin Levine, Sven Thomas Kiebler oder Wolfgang Rüdiger das Wort ergreifen und über ihre Erfahrungen mit der Musik berichten, weitet sich die Perspektive des Bandes. Denn wenn das ästhetische Potenzial des Komponierten in der interpretatorischen Annäherung sichtbar wird, lässt sich ahnen, dass man vielleicht einen fruchtbaren Ansatz zur Auseinandersetzung mit den Werken aus dem Blickwinkel einer Theorie und Ästhetik des Performativen gewinnen könnte. Im Endeffekt bleibt Musik nämlich, so sehr auch darüber philosophiert wird, gegenstandsloser Klang, der in seiner rein instrumentalen Gestalt weder philosophische noch politische oder religiöse Inhalte transportiert, sondern allein im Prozess ästhetischer Wahrnehmung seine Wirkung entfaltet.

Stefan Drees