Christoph Wagner
Die Töne jenseits der Noten
Graindelavoix ist das "Enfant terrible" der Alten Musik
Die Gruppe Graindelavoix aus Antwerpen ist ein «Early Music»-Ensemble mit einer eigenen Vision der frühen Musik. Unter der Regie von Björn Schmelzer wird die Polyphonie der Renaissance gegen den Strich gebürstet, um ihre tiefere Botschaft ans Licht zu bringen. «Emotionale Musikwissenschaft in Aktion» hat das die Kritik genannt. Graindelavoix taucht tief in die verschlungene Vielstimmigkeit ein, um unter die Haut der Motetten, Messen und Madrigale zu gelangen und ihre Essenz herauszuarbeiten. Dabei schreckt die Gruppe nicht davor zurück, den «klaren schönen Gesang
in durchdringende Schreie und Klagen» zu verwandeln, wie es im Text einer musikalischen Lamentation aus dem Jahr 1497 von Josquin Desprez auf den Tod von Johannes Ockeghem heißt. Björn Schmelzer gilt als Enfant terrible der
frühen Musik. Sein Ensemble Graindelavoix hat die Vorstellung von den Klängen des Mittelalters und der Renaissance revolutioniert. Mit Roland Barthes als Taufpaten greifen sie auf Techniken diverser Volksmusiktraditionen sowie der Idee einer «affektiven Exegese» zurück. Christoph Wagner hat mit dem Gründer von Graindelavoix gesprochen.