Drama

Werke von Luca Francesconi, Gordon Kampe, Mischa Käser und Friedrich Cerha

Verlag/Label: col legno WWE 1CD 20413
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/05 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 5

Was für ein Anfang! Man wähnt sich im Sprechtheater, Heiner Müllers irrwitzig-abgründiges Dramolett Herzstück wird rezitiert. Doch das ist nur der Prolog von Luca Francesconis «Vertonung», in der sich Müllers Verse in teils schrillen stimmlichen – und stimmigen – Verschlingungen in Klang verwandeln. Darin erschöpft sich Francesconis Herzstück (2012) indes nicht. Weite seelische und emotionale Räume werden durchmessen und münden in einen äußerlich fast statischen, innerlich aber vibrierenden Schlusspart, der mit «Hommage à Morton Feldman» überschrieben ist. In Gegenspannung zum langsamen Tempo spitzt sich das Drama zu, und dass fünf der Neuen Vocalsolisten Stuttgart drauf und dran sind, dem lyrischen Sopran im Sinne von Müllers Text mit Taschenmessern das Herz herauszuschneiden, wird vor dem geistigen Auge in eindringlicher Abstraktion sichtbar.
«Dramatisch» sind auch Gordon Kampes Falsche Lieder (2011), aber auch «stammtischig», «leicht beknackt» oder «zackig», wie er in seinen Vortragsanweisungen einfordert. Schon derlei Assoziationen zeigen unmissverständlich an, dass Kampe nicht gerade dem «romantischen» Bild vom Tonschöpfer anhängt, der in mystischer Überhöhung nicht anders kann als zu komponieren oder sich gar als Medium höherer Mächte begreift. Dennoch nimmt er eine Aussage seines Lehrers Hans-Joachim Hespos für sich in Anspruch, nach der Musikmachen einfach zum Stoffwechsel gehöre, so wie Atmen, und man sich daher gar nicht fragen müsse, warum oder für wen man das tut. Kampe macht also einfach, und was er macht, hat Hand und Fuß, ohne sich anzubiedern, auch in den Falschen Liedern. Diese stürzen sich – nicht zuletzt dank großartiger Interpretation – mit Wollust in Absurditäten und paaren Ironie mit Poesie und Reflexion mit Hemdsärmeligkeit, und sie verbinden, wie Rainer Pöllmann in seinem schönen Booklet-Text hervorhebt, «den Traum vom Fliegen mit dem Willen zum Weitermachen im Moment des Absturzes».
Fast nahtlos, trotz abweichender musikalischer Mittel, schließen sich Mischa Käsers Präludien 1. Buch, Nr. 1-8 (2004/05) an. Jenseits vorfixierter Handlungen oder semantischer Ebenen verlegen sie das «Drama» in die Sphären des Archaischen und Lautpoetischen. Mutiert in den Präludien 1 und 2 vermeintliches Einvernehmen zum harschen Geschlechterkampf, so zielt der weitere Verlauf auf triebhaft-kreatürliche Potenziale des Stimmklangs, was naturgemäß mit einem produktiven Verlust an «Künstlichkeit» einhergeht. Auch die­ser Ansatz ist bei den Neuen Vocalsolisten bestens aufgehoben, ebenso wie die 2 Szenen (2010/11) von Altmeister Friedrich Cerha.
Dass die vier Werke, die explizit für das Ensemble entstanden sind, im Genre des «vokalen Kammer-Musik-Theaters» ein breites Spektrum eröffnen, versteht sich fast von selbst – wobei die CD zudem an ihre Vorgängerin Madrigali sinnfällig anknüpft. Cerha nun setzte «Wohlstandskonversation» und «Hinrichtung» spitzfindig in Beziehung zueinander, musikalisch ausformuliert mit sezierender Tiefenschärfe. Was für ein Schluss!

Egbert Hiller