Verrando, Giovanni

Dulle Griet

Verlag/Label: æon, AECD 1328
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/04 , Seite 83

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 3


Das Schaffen des 1965 geborenen Italieners Giovanni Verrando scheint in der auf sich selbst fixierten deutschen Szene bislang keine Rolle zu spielen, obgleich es eine Bereicherung für die Diskussion um die Arbeit mit elektronischen Komponenten böte. Die vorliegende CD, Gegenstück zu einer 2011 bei Stradivarius erschienenen Produktion mit Orchesterstücken Verrandos, thematisiert anhand von Solowerken, Kammermusik und Ensemblestücken aus den Jahren 2001 bis 2010 den synthetisierenden Umgang mit Klangqualitäten unterschiedlicher Herkunft. Der Komponist führt dem Hörer Vorgänge der Überschreibung vor, die sich mit dem Verhältnis zwischen analog erzeugtem Instrumentalklang und digitaler Klangverarbeitung befassen. Das Ergebnis ist eine hybride, artifizielle Klanglichkeit, die auf unterschiedliche Weise die Nähe und Distanz zum jeweiligen Ausgangspunkt betont.
So erlebt der Hörer im eröffnenden Ensemblestück Dulle Griet palimpsestartige Überlagerungen von Klangzuständen, die sich aus instrumentalen Klangverfremdungen und den daran ansetzenden elektronischen Verdichtungsprozessen ergeben. Analog hierzu schließt die CD mit dem Triptych #2 für elektrifiziertes Ensemble, in dem die elektronischen Klangkomponenten durch Anwendung unterschiedlicher Filterprozesse gestische Qualitäten gewinnen.
Neben den rahmenden Ensemblestücken beziehen zwei weitere Werke die Möglichkeiten elektronischer Überschreibung ein: So wird im Flötenstück First Born Unicorn, remind me what we’re fighting for der Kontrast zwischen der Verstärkung geblasener und gesungener Klänge und den stilisierten, an Vogelstimmen gemahnenden Figurationen ausgetragen, wogegen die an eine E-Gi­tarre erinnernden verzerrten Tremolotexturen des Violinstücks Third Born Unicorn, remind me what we’re fighting for den musikalischen Diskurs im Übergangsfeld zur musikalischen Praxis der Rockmusik ansiedeln.
Diesen Stücken stehen mit dem Streichquartett Nr. 3, dem Klavierwerk Second Born Unicorn, remind me what we’re fighting for und dem Ensemblestück Il ruvido dettaglio celebrato da Aby Warburg zwar drei Kompositionen gegenüber, die allein auf den Gegebenheiten instrumentaler Klangbehandlung basieren, dabei aber dennoch zugleich elektronische Komponenten klanglich simulieren. Das Streichquartett arbeitet etwa mit unterschiedlichen Texturdichten, die sich aus dem Gegeneinander von Einzelstimmen und Registerlagen ergeben, rekapituliert jedoch in Flageolettschichten die Klanglichkeit elektronischer Tonerzeugung. Die enorm beweglichen Texturen des Klavierstücks wiederum hinterlassen den Eindruck eines computergesteuerten Instruments, während sich im Ensemblewerk unterschiedliche Klangformungsprozesse zu artifiziellen Klangmischungen fügen.
Aufgrund der klug gewählten Abfolge aller sieben Kompositionen erweist sich die CD als abwechslungsreicher Hörparcours, dessen Einzelteile mitsamt der ihnen eingeschriebenen Irritationen geschickt aufeinander Be­zug nehmen. Exzellent ist auch die musikalische Umsetzung durch Mitglieder des Mdi Ensemble und des Ensembles RepertoireZero unter Leitung von Pierre-André Valade, der sich hier zum zweiten Mal als erfahrener Spezialist für Verrandos Musik erweist.

Stefan Drees