Duo Gazzana

Toru Takemitsu: Distance de fée?| Paul Hindemith: Sonata in E | Leoš Janácek: Sonata | Valentin Silvestrov: Five Pieces

Verlag/Label: ECM New Series 2238
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 4
Booklet: 4

Von ambulatorischer Musik möchte man reden, wenn man den Klängen von Toru Takemitsus Komposition «Distance de fée» lauscht. Die Violine begibt sich auf eine beschauliche Wanderbewegung: Weit singt sie ihre Melodiephrasen aus, bevor sie innehält, einen Moment verweilt, und dann zu neuem Gang ansetzt. Das Klavier grundiert mit schreitenden Akkordfolgen, deren Harmonik ein wenig an die Musiksprache Olivier Messiaens erinnert. Wie ein Stück in die Moderne versprengter Romantik wirkt diese rituell gemessene Komposition, wenn sie den Hörer zum meditativen Mitspazieren im Geiste einlädt.
Die Haltung der Musik und jene der beiden Interpreten kommt hier glücklich zur Deckung. Überraschender ist es, wenn das Geschwisterpaar Natascia und Raffaella Gazzana auch Paul Hindemiths 1935 entstandene «Sonate in E» in einem ebenfalls romantischen Licht erstrahlen lässt. Die Violinstimme atmet Wärme und Sinnlichkeit, und Natascia Gazzana hat keinerlei Scheu, den Geigenpart durch intensiven Vibratogebrauch mit viel Emphase zu versehen. Hindemiths dem 20. Jahrhundert angehörende Klangsprache mit ihrer spröderen Harmonik tritt demgegenüber ganz in den Hintergrund. Von «Neusachlichkeit», von bloß musikantischer oder musikpädagogisch motivierter «Spielmusik» oder wie sonst Etikettierungen für Hindemiths Sonatenschaffen lauten, ist hier keine Rede, und dass seine Werke ohne jede Verfälschung auch diese ihre Rückbindung an die Vergangenheit betonende Auslegung vertragen, ist ein Erkenntnisgewinn.
Bei der folgenden Sonate Janáceks wirkt der analoge Interpretationsansatz der beiden Musikerinnen nicht ganz so zwingend und scheint beim Anhören mehr zu Defiziten als zu Erleuchtungen zu führen. Man vernimmt hier viel schönheitstrunkene Melodik über wogenden Klavierarpeggien, vermisst beim angeschlagenen milden Legendenton aber die schärferen Akzente, entbehrt jenes Kantige, das so unverwechselbar zu Janáceks Musiksprache gehört.
Abgerundet wird die CD-Einspielung mit «Five Pieces» für Violine und Klavier, die Valentin Silvestrov 2004 komponierte. Hier handelt es sich freilich um Stücke, die in ihrer kompo­sitorischen Qualität gegenüber allem Bisherigen abfallen. Für eine Musik des beginnenden 21. Jahrhunderts ist dies ein arg harmloses Gesäusel, das nicht einmal einem Salonkomponisten des 19. Jahrhunderts zur Ehre gereichen würde und in seiner Belanglosigkeit zum linken Ohr hinein-, zum rechten sofort wieder hinausgeht. All jene Bestrebungen der jüngeren Vergangenheit in Ehren, die etwas pauschal als «neue Einfachheit» bezeichnet werden: aber das angezielte Schlichte sollte nicht den Grat zum Banalen überschreiten. Silvestrov, der in der Vergangenheit wahrhaft inspirierte Werke komponiert hat, macht es sich mit einigen seiner jüngeren Arbeiten eindeutig zu leicht.

Gerhard Dietel