Feldman, Morton

Early Piano Pieces

Verlag/Label: Wergo WER 67472
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/01 , Seite 82

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Der Komponist Christian Wolff bezeichnete Morton Feldmans Musik als nicht analysierbar. Sie entziehe sich konventionellen Untersuchungen und beziehe nicht zuletzt daraus ihren Zauber. Marion Saxer spricht im Begleitheft der vorliegenden Doppel-CD von einem «Sinn für die Realität des Erklingenden», der einen «zentralen Aspekt» von Feldmans Arbeit ausmacht. Die Idee von «Klang als Klang» steht auch im Mittelpunkt von Sabine Liebners Interpretation der Early Piano Pieces Feldmans, wobei der Titel der CD ein wenig verwirrt, wurde doch das letzte Stück Piano im Jahre 1977 komponiert, zehn Jahre vor Feldmans Tod.
Los geht es mit den Intermissions aus den 1950er Jahren, einem Kompendium aus sechs Stücken, die Feldman im Gegensatz zu seinen grafischen Partituren innerhalb eines konventionellen Notensystems niederschrieb, dessen Restriktionen er allerdings auch mit diversen Tricks zu umgehen verstand. So nimmt der sechste Teil der Intermissions bezüglich seiner grafischen Darstellung und musikalischen Intention Stockhausens Klavierstück XI um drei Jahre vorweg, in dem der Spieler das Auge über die Partitur schweifen lässt und frei entscheiden kann, was er als nächstes spielt. Insgesamt stellen die Intermissions den Interpreten vor hohe Anforderungen, die Liebner überzeugend meistert. Auffällig ist die sehr leise gehaltene Dynamik der Stücke, die stellenweise von lauten Klangeruptionen unterbrochen wird. Momente, die aus ihrer Plötzlichkeit eine körperliche Wirkung entfalten – man erschreckt sich.
Bezaubernd sind die Nature Pieces for Piano, melodische Arabesken, die eine geheimnisvolle Aura ausstrahlen. Es wird vermutet, Feldman habe diese Stücke für Tänzer komponiert. Die Wendigkeit und Verspieltheit der Klänge lässt diese Vermutung plausibel erscheinen. In Piano Piece (To Philip Guston) und Piano Piece 1964 arbeitet er mit sehr langsamen Tempi. Die Musik ist durchsetzt von langen Pausen. Liebners Interpretation schützt das disparate Klanggewebe vor dem Zerfall.
Obwohl Feldman viele seiner musikalischen Ideen aus der Malerei zog, interessierte er sich auch für die Literatur. Piano sei aus der Beschäftigung mit Samuel Beckett entstanden, behauptete der Komponist. Es ist eine Komposition, die mit chromatischen Akkorden arbeitet, die sich innerhalb einer komplexen rhythmischen Struktur bewegen. Die Musik schreitet vorwärts und kehrt dabei immer wieder zu vorhergehenden Ereignissen zurück. Alle vorübergegangene Information kom­me wieder zurück, sagte Feldman. Allerdings in abgewandelter Form. Ein Sinnbild, das auch auf diese Veröffentlichung zutrifft: Sie vermittelt immer wieder neue Höreindrücke.

Raphael Smarzoch