Fineberg, Joshua
Empreintes, Veils, and Shards
Musikalische Wertung: 1
Technische Wertung: 4
Repertoirewert: 5
Booklet: 2
Gesamtwertung: 2
Die Musik von Joshua Fineberg kennzeichnet verschiedene Gesichtspunkte, die charakteristisch sind für eine Generation junger Komponisten, die in den letzten zehn bis 15 Jahren auf sich aufmerksam gemacht haben. Sie rekonstruieren verschiedene Modelle modernistischer Ausdrucksweisen, die das 20. Jahrhundert zur Verfügung, an seinem Ende jedoch in Frage gestellt hat. Da diese grundsätzliche Infragestellung, mit der sich dann die so genannte Postmoderne befasst hat, verklungen ist, kommt es nun zu einer unvermittelten, häufig geschichtslosen Wiedereinführung von Stilismen und Ausdrucksweisen, die man manchmal nur als eine überwundene Konvention erleben kann.
So lässt bereits die Komposition Empreintes aus dem Jahr 1995 für 15 Instrumentalisten und Live-Elektronik die Klangsprache der Spektralmusik aufscheinen, die sich in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Paris im Umfeld des Ensembles LItinéraire herausbildete, das insbesondere differenzierte Klangqualitäten wie Obertöne im Rahmen einer atonal und seriell geprägten Musik erforschte und ausformulierte, anknüpfend an Komponisten wie Olivier Messiaen oder Giacinto Scelsi.
Der 1969 in Boston geborene Fineberg wurde wesentlich durch sein Studium bei dem Spektralisten Tristan Murail geprägt. Empreintes verwirklicht ein algorithmisch geordnetes, komplexes Frequenz-Spektrum, ermüdet jedoch durch seine konventionellen Spannungsverläufe und enthält Klangflächen, die manchmal selbst an Werke wie Daphnis et Chloé von Maurice Ravel (komponiert 1909-12) erinnern. Den unermüdlichen Zusammenballungen und Ausbrüchen folgen neblig verschleierte Klangstrecken und vice versa.
Auch das Klavierstück Veils von 2001 wird von geheimnisvoll scheinenden, an Skrjabins Mystizismus
gemahnenden Akkordschichtungen getragen. Eine gemildert dissonante Träumerei entspinnt sich, welche die Grenzen zur Klangverliebtheit deutlich überschreitet. Das Werk soll dem Komponisten zufolge Bezüge zum tibetanischen Buddhismus aufweisen. Ob aus der subjektiven dramatischen Exponiertheit des Stücks wirklich eine Verbindung zu einer ernsthaften spirituellen Disziplin abzulesen ist, erscheint fraglich.
Auch die Komposition Shards, ein Trio für Flöten, Klarinetten und Cello, setzt hochtrabende Bezüge, diesmal zu Scherben aus Tongefäßen des alten Ägypten. Die enigmatische Aura antiker Fragmente wird in einer Komposition beschworen, die (wen wundert es?) kurze instrumentale Abschnitte neben- und übereinandersetzt und diese sonoristisch ausgestaltet. Noch mehr in Szene setzt sich der Werktitel The Texture of Time für Flöte und Live-Elektronik aus dem Jahr 2006, eine beschwörend-geheimnisvolle Atmosphäre suggerierend, die die mehrheitlich langgezogenen Klänge des Instruments mit verhaltenen elektronischen Wellen zusammenbringt.
Thomas Groetz