Carroll, Brendan G.
Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind
Aus dem Englischen von Gerold Gruber
Brendan G. Carrolls Korngold-Biografie ist 1997 in englischer Sprache unter dem Titel «The last prodigy» erschienen. 15 Jahre später liegt sie nun in einer von Gerold Gruber übersetzten deutschen Ausgabe vor. Das Buch «Erich Wolfgang Korngold. Das letzte Wunderkind» ist das Resultat einer fast lebenslangen Beschäftigung Carrolls mit dem Komponisten, aber als Ergebnis nicht unproblematisch. Nicht nur, dass immer wieder die Begeisterung über seinen Titelhelden mit dem Verfasser durchgeht, wenn er ästhetische Wertungen abgibt, ohne sie zu begründen oder zu belegen («Zweifellos» ist eine beliebte Formel).
Auch wenn die Kapitel-Überschrift «Das neue dunkle Zeitalter Hitlers Aufstieg zur Macht 1924-1933» das Gegenteil suggeriert, wird die Zeitgeschichte nur oberflächlich gestreift. Und auch der in Ablauf und Daten falsch dargestellte «Anschluss» Österreichs 1938 (!) durch Nazi-Deutschland wird hier subsumiert. Carroll scheint Korngold zu folgen, der in seinem letzten Aufsatz «Faith in Music» 1955 die Überzeugung äußerte, wahre Kunst habe mit Zeitgeschichte nichts zu tun vielleicht gerade als Reaktion darauf, dass ihm die Zeitgeschichte so übel mitspielte. Auch musikhistorisch ist die Darstellung verzerrt. Arnold Schönbergs Bedeutung in den frühen 1920er Jahren ist deutlich überschätzt: Er wird zum großen Antipoden stilisiert, der er zu Lebzeiten gar nicht war.
Angelegt ist das Buch als chronologische Erzählung von Biografie und Werk. Entstanden ist es vermutlich als Addition verschiedener Manuskripte. Anders ist kaum zu erklären, dass immer wieder ein Thema nach wenigen Seiten plötzlich unter leicht verändertem Blickwinkel nochmals auftaucht manchmal sogar ein drittes Mal. Ohne Werkregister, nur mit einem Personenregister, muss sich der Leser selbst die Fakten zusammensuchen. Auch mit der Aktualität hapert es. Die Diskografie ist zwar auf den Stand von 2008 gebracht, doch dass die vernachlässigten Opern «Kathrin» (1999 in Trier) und «Das Wunder der Heliane» (2010 in Kaiserslautern) inzwischen auf die Bühne kamen, hätte dem Gründer der Korngold Society auffallen können.
Was an Carrolls Buch allerdings fasziniert, ist die große Menge an Originalquellen (Briefen, Interviews, Rezensionen), die ein ausgesprochen lebendiges Bild von Korngolds Persönlichkeit aufscheinen lassen. Dieser begann tatsächlich als pianistisches und kompositorisches Wunderkind begabt mit einem ganz persönlichen, orchestralen Zugriff aufs Klavier, einem eminenten musikalischen Gedächtnis und einem kompositorischen Vorstellungsvermögen, das intuitiv die Möglichkeiten der Jahrhundertwende auszuloten und zu erweitern verstand. In vieler Hinsicht stammte Korngold, wie es Karl Schumann 1987 beschrieb, tatsächlich «aus der guten alten Zeit, aus der Atmosphäre von Fin de Siècle, Jugendstil, Symbolismus, Kult der Musik, Anbetung der Oper und Kaffeehaus».
Ein großer Vorzug von Carrolls Buch ist, dass er keine Vorurteile gegenüber Korngolds Operetten-Bearbeitungen und Filmkompositionen hat. Der in seiner Jugend überbehütete und von den Eltern fast wie in einem Treibhaus aufgezogene Künstler scheint im Dirigieren, Arrangieren und Mitkonzipieren von Bühnenwerken und Filmen nicht nur seinen untrüglichen Sinn für musikalisch-szenische Zusammenhänge, sondern auch das Glück künstlerischer Teamarbeit für sich entdeckt zu haben. So bedeutete die Arbeit in Hollywood keine Selbstverleugnung.
Andreas Hauff