Pistiak, Arnold

Essays zu Hanns Eislers musikalischem und poetischem Schaffen

4 Bände im Schuber

Verlag/Label: edition bodoni, Berlin 2013, insgesamt 284 Seiten
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 92

Schon die Auswahl der Werke Hanns Eislers, die Arnold Pistiak, Germanist und Musikwissenschaftler in Potsdam, in vier ausführlichen Essays zur Sprache bringt, erfolgte sehr bewusst und gezielt. Wenn er im Prolog zu diesen Studien, die in separat gebundenen Heften in einem Schuber vereint sind, behauptet, seine «Über­legungen» seien «ein höchst subjektiver Versuch» und bereits die Wahl der diskutierten Werke verdanke sich seiner «Subjektivität», erscheint das fast als Ausdruck einer Verschleierungstaktik, die seine profund recherchierten Spezialstudien gar nicht nötig haben. Was mit dem Epitheton «subjektiv» verschleiert wird, deutet der Autor in seinem Prolog zumindest an: Die «linken Utopien des 19. und 20. Jahrhunderts», «auf nichts weniger gerichtet als die ‹Befreiung des Menschengeschlechts›», würden heute «allzu oft schamhaft verschwiegen». Das besondere Augenmerk seiner Untersuchungen richtet Pistiak dann auch auf die politischen Implikationen der Vertonungen, die er insbesondere aus der Analyse der Texte scharfsinnig ableitet.
Auch wenn eine jede Generation sich ihre Künstler, die Bedeutung und Gehalte ihrer Hervorbringungen in Geschichte und Gegenwart neu erarbeiten und die Werke neu befragen muss, verdient Hanns Eisler nach der epochalen Zäsur des Jahres 1989 besondere Aufmerksamkeit. Gerade sein Schaffen ist heute zu studieren und zu «beerben». Vor diesem Hintergrund untersucht Arnold Pistiak die drei Männerchöre auf Texte von Heinrich Heine op. 10 (1925/ 26), die «Svendborger» Kantaten für Sopran, Viola, Violoncello und zwei Klarinetten auf Texte von Ignazio Silone, die 1937 während Eislers Besuch bei Brecht im dänischen Exil entstanden, das gescheiterte bzw. offiziös verhinderte Projekt seiner Faustus-Oper sowie Eislers Goethe-Vertonungen, denen jeweils eine der vier Studien gilt. Mit Ausnahme des Faustus-Projekts (1951/53) sind dies scheinbar weniger bekannte Werke, denen jedoch, wenn man ihre impliziten politischen Gehalte herausarbeitet, erhebliche Bedeutung zukommt (die von Wende- bzw. Orientierungspunkten oder – im Fall der Goethe-Vertonungen – eines eigenständigen Werkstrangs). Pistiak bringt hier man­che kaum bekannten Einzelheiten so­wie verdrängte Aspekte zur Sprache.
Wohl noch in Wien entstanden die Heine-Chöre zu einem Zeitpunkt, bevor sich Eisler, damals noch Schönberg-Schüler, dezidiert der Arbeiterbewegung zuwandte. Sie enthalten auch Momente revolutionärer Gewalt, die im Zeitalter digital verfeinerter Kommunikation (respektive ihrer Verhinderung) hier und heute problematisch erscheinen mö­gen. Detailliert zeigt Pistiak die Veränderungen, Eingriffe und Auslassungen, die Eisler an den Texten vornahm; so erweist sich Tendenz (Sangesspruch) bereits als ein frühes Kampflied (mit dem Schluss «Sei Kanone, sei Kartaune, / Blase, donnre, schmettere, töte!»).
Als implizite Parteinahme sowie Kritik nicht nur am Faschismus, sondern auch am Stalinismus deutet Pistiak die Svendborger Kantaten von 1937, wie er auch aus dem Faustus-Libretto das Widerständige herausliest: Faust und Mephisto als negative Helden, Faustus als episches Theater, das eine positive bzw. aristotelische Identifikationsästhetik nicht (oder kaum) mehr braucht.
Dazu in diametralem Gegensatz steht der Werkstrang der Goethe-Vertonungen, beginnend mit den Liedern Der Schatzgräber (1944?) und Glückliche Fahrt (1948?) bis hin zur Rhapsodie für großes Orchester mit Solo-Sopran (Goethe, Faust II, 1949) und dem Triptychon Das Vorbild für Alt-Solo und Orchester (1951; revidiert bis 1959): Versuche, in denen es Eisler – wie auch in den Neuen deutschen Volksliedern (Johannes R. Becher, 1950) – um Klassizität ging, um eine positive Identifikation mit der Weimarer Klassik / Kultur in der jungen DDR, um populäre Idiome mit künstlerischem Anspruch.
Der typografisch ansprechenden Edition fehlen längere Notenbeispiele, auch eine CD-Beilage mit den diskutierten Werken würde die Lektüre dieser Studien fasslicher machen.

Walter-Wolfgang Sparrer