Vasks, Peteris

Flute Concerto

+ Flute Sonata / Aria e danza / Landscape with Birds

Verlag/Label: Naxos 8.572634
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2014/02 , Seite 84

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 3

Schöpferische Synergien entstehen im Reich der Tonkunst immer dann, wenn ein Komponist seinen inspirierenden Interpreten und ein Interpret seinen animierenden Komponisten findet. Der Rigaer (mithin lettische, nicht – wie das Cover angibt – litauische) Tonschöpfer Peteris Vasks und der Kölner Flötist Michael Faust haben auf solche Weise zusammengefunden. Die Ersteinspielung des Flötenkonzerts mit dem Solisten des WDR Sinfonieorchesters bestätigt, was sich auf dem Podium längst schon erwies: Michael Faust ist für Vasks’ Flötentöne ein wahrer Göttermund.
Alles, was der Lette seit Jahrzehnten gedanklich umkreist – die Leiden seines Volks in jüngerer Vergangenheit, die Umweltsünden allenthalben, das gebrochene Verhältnis zwischen Mensch und Natur: auch in seiner Flötenmusik klingt es an. Nicht zuletzt im Concerto for Flute and Orchestra, das er in den Jahren 2007–08 für Michael Faust schrieb, der es Anfang 2009 mit dem Kölner RSO uraufführte. Danach gingen Erfahrungen aus Proben und Aufführungen revidierend in die Partitur ein.
Das Konzert, hier mit Anmut und Würde dargeboten, ist Vasks’ bisher längstes Orchesterwerk. Der Kopfsatz, «Cantabile» überschrieben, öffnet dem Solisten den Vorhang, bevor sich dieser mit einem «Hoppla, jetzt komm’ ich!» alert in Szene setzt und in höchste Höhen aufschwingt. Nach emphatischen Dialogpartien mit Blä­sern, Streichern und Schlagwerk wendet sich die Musik ins Elegische – in scharfem Kontrast zum burlesk einsetzenden Mittelsatz. Darin lässt sich die Soloflöte auf eine Caprice mit dem Schlagzeug ein, bevor Holzbläser und Cembalo den Solisten zum Tanz bitten. Sich ineinander wickelnd, schaukeln sich beide «Musikarten» zu einer Klimax auf, der sich eine minutenlange, hürdenreiche Solokadenz entwindet. Das Finale führt zurück in Tonfall und Stimmungswelt des Kopfsatzes. Am Ende verlischt es, wie öfter bei Vasks, ohne viel Aufhebens.
Auch die Sonate für Flöte und Altflöte solo folgt, an die Kirchensonate erinnernd, dem Bewegungsmodell langsam – schnell – langsam. Ihrem Charakter entsprechend bestreitet die Alt-Querflöte die Rahmensätze. Bei­de sind mit dem lettischen Wort «Nakts» [Nacht] überschrieben und misterioso vorzutragen – im Gegensatz zu den Kapriolen der großen Flöte im Mittelsatz «Lidojums» [Flug]: ein ausschweifender Tagtraum, eine furiose Virtuosennummer mit Terzentrillern, Doppel-, Tripel- und Flatterzunge.
Schon 1972 entstanden, doch 2010 überarbeitet, sind Aria e danza für Flöte und Klavier. Sanft klagend hängt die Aria einer unendlichen Flötenmelodie nach. In der Danza umschließt ein heiter synkopiertes Rahmenpaar den grazilen Mittelteil – mit der Kölner Pianistin Sheila Arnold als vortrefflicher Duo-Partnerin.
Die Landschaft mit Vögeln für Flöte solo, 1980 in Riga uraufgeführt, ist eine freie Fantasie. Sie spricht nicht nur das gauklerische, sondern auch das panische Wesen der Flöte an. Oberton-Akrobatik, Klappengeräusche, virtuelle Zweistimmigkeit («Mitbrummen» des Flötisten), wirbelnde Rhythmen und bohrende Ostinati tragen die Sehnsucht des Komponisten nach vogelgleicher Bewegungsfreiheit ins Land Utopia.

Lutz Lesle