Profos, Felix

Forcemajeure: Lingua Mortuorum

Verlag/Label: ZHDK Records 2011
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/01 , Seite 86

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 4
Booklet: 5

«Forcemajeure», das ist das siebenköpfige Bandprojekt des Komponisten Felix Profos, der gleich im doppelten Sinne nicht leicht zu fassen ist. Umtriebig, wie Profos ist, schreibt er eine Musik, zu der am ehesten das Attribut «schelmisch» passt. Welchen Tonfall der 1969 in Winterthur Geborene anschlägt (es sind viele) – zu trauen sind ihnen (und ihm) ebenso wenig wie dem Frieden. Charakteristisch für die nach einem Untertitel aus Mussorgskis «Bildern einer Ausstellung» benannte CD «Lingua Mortuorum» sind Gratwanderungen, mehr die Ahnung als die Gewissheit, dass vordergründig Schönes oder vordergründig Humoristisches immer wieder umkippen kann in ungeheuer heikle, durchaus auch abgründige Zustände. Der Schelm und der Tragöde – sie gehören eben nicht selten zusammen.
Profos sagt von sich, dass er beim Komponieren selten das Gefühl habe, etwas an seinem Material ändern zu müssen. Das Resultat: Im vierminütigen Stück «Dorf» steht ein beständig repetiertes melancholisches Klaviermotiv im Zentrum. Hinzu gesellen sich ein dezent unaufgeregt begleitendes Schlagzeug und Saxofone, die sich dem Klavier mit Liegetönen anschmiegen. Diese ausgeglichene, in sich ruhende «Grundlage» verändert sich im weiteren Verlauf nur geringfügig. Man fragt sich: Was ist es genau, das diese so gute Musik so besonders macht? Ist es die kompositorische Kontrolle eines so fragilen Gebildes? Oder einfach die besondere Klanglichkeit durch die alles andere als orthodoxe Besetzung mit Jazzinstrumentarium plus merkwürdigen Keyboard-Beigaben? Ungleich aggressiver als das ruhige «Dorf» kommt «Wappentier» daher. Gravitätisch mächtigen Einsätzen des Kontrabasses stellt Profos ein hohes Saxofon gegenüber. Rhythmische Spannungen ergeben sich durch ein unruhiges Schlagzeug und ostinate Akkordrepetitionen des Synthesizers, den Profos selbst bedient. Die Dramatik kennt kein Ziel, bleibt unaufgelöst bis zum Ende.
Aus dem Haus der Zürcher Hochschule der Künste kommt die CD in schönem schwarzen Kartongewand. In Profos eigenem Booklet-Text ist einiges über ihn und seine «Urväter» zu erfahren. Zu diesen zählt unter anderem und wenig überraschend Erik Satie, der die Kunst beherrsche, «Melodien zu schreiben, die sich schon ganz kurz nach Beginn wieder verlieren». Ja, das Flüchtige trifft auch Profos’ Kunst, die sich wie ein Pudding dem festen Zugriff entzieht. Die Besonderheit von «Lingua Mortuorum» mildert das keineswegs. Von Felix Profos, einem der interessantesten Komponisten der Schweiz, ist sicher noch einiges zu erwarten.

Torsten Möller