Eckhardt, John

Forests

Polystyrol-Box mit Moos, Flechten, Rinde aus dem schwedischen Wald; USB-Stick aus Holz mit Audiodateien, Waldfotografien, Slideshow-App

Verlag/Label: Depth of Field Music
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2015/01 , Seite 92

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

In einer Auflage von 250 Exemplaren ist die Künstlerbox Forests des Kontrabassisten John Eckhardt bei seinem eigenen Label Depth of Field Music erschienen. Der Titel dieser Box ist Programm: der Wald. Auf den Punkt bringt es Eckhardt in seinem Begleittext auf dem beigefügten USB-Stick: «Ich mache mir einen Wald». Liest man seinen (selbst-)analytischen, detailliert beobachtenden und beschreibenden Text weiter, ließe sich ebenso formulieren: «Ich bin mir selbst ein Wald»; oder auch: «Mein Kontrabass ist mir ein Wald»; oder: «Mein Fotoapparat ist mir ein Wald». Eckhardt versucht in seinen künstlerischen Arbeiten zu durchdringen, zu analysieren, zu mikroskopieren. Dabei beschreitet er den schmalen Grat zwischen der bloßen Darstellung und Präsentation von Naturmaterial und Naturerscheinung und deren künstlerischer Umsetzung im und als Werk.
Für die insgesamt acht zu hörenden Improvisationen/Kompositionen heißt das, dass Eckhardt schlichtweg alle am Klangentstehungsprozess und am schießlichen «Klanghören» beteiligten Ebenen einer akustischen und analytischen Mikroskopierung unterzieht. Dabei präsentiert er keine endgültigen (kompositorischen) Ergebnisse, sondern (improvisatorische) Prozesse, Folgen von Momentaufnahmen, zeitliche wie räumliche Punkte; diese Punkte addieren sich zu Linien, zu Flächen, zu Rhythmen, zu Tonfolgen. Diese wiederum durch das Overdub-Verfahren der jeweils vier Kontrabass-Soli zum Mehrdimensionalen und mehrschichtig Repe­titiven. Alles, was Instrument und Spieler an «Natur» zu bieten haben, wird detailliert und ausführlich in die mehrdimensionalen Prozesse miteinbezogen: der Korpus des Kontrabasses mit seinem Holz, die Saiten, der Bo­gen, die Bogenhaare auf der einen Seite, die Finger, die Fingernägel, die Haut, die Gelenke der Arme und des Körpers, die biochemischen und biophysikalischen Prozesse der Sinneswahrnehmung, die milliardenfache «Nano-Elektronik» der Gehirnzellen des Spielers auf der anderen Seite. Das wäre alles viel zu viel der intellektuellen Kleinarbeit und Bedachtheit, wenn es Eckhardt dabei nicht gelänge, all diese – schriftlich formulierte – Intellektualität auch ins Ästhetische zu überführen. So entsteht beim Hören seiner Musik ein meditativer Zauber und ein sinnliches Staunen, das mit der Wahrnehmung von Naturerscheinungen und Naturprozessen durchaus korrespondiert.
Parallel zur musikalischen Ebene präsentiert Eckhardt auf dem USB-Stick 200 Natur-Fotografien, auf­genommen in der Umgebung des schwedischen Ortes Staksund nord-östlich von Stockholm. Er zeigt auf diesen Aufnahmen mikro- wie makroskopische Strukturen und selbst­ähnliche chaotische Gebilde, wie Wind, Wasser, Eis, Pilze, Pflanzen und mitunter auch Tiere sie entstehen lassen. Alles in beeindruckender technischer Qualität aufgenommen. Hört man zu diesen Bildern zeitgleich seine musikalischen Werke, die Titel tragen wie Xylotope, Fungi oder Geophyte, so entsteht – gemeinsam mit der kleinen Kunstbox mit Waldbestandteilen (Zweige, Rinde, Moos, Flechten, Baumnadeln) – ein kleines multimediales Gesamtkunstwerk.

Thomas M. Maier