Prins, Stefan

Fremdkörper

Verlag/Label: Sub Rosa SR352 (2 CDs)
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2013/02 , Seite 82

Musikalische Wertung: 4
Technische Wertung: 5
Booklet: 4

Am Strand myriadenfacher Normalfall, wird das Sandkorn erst im Auge zum Fremdkörper. Denn alles ist relativ. So wirken inmitten sirrender Elektronik auch klare Tonhöhen plötzlich deplatziert. Die Grenzen changieren: Was verhält sich in Bezug auf was als Fremdkörper?
Der belgische Composer-Performer Stefan Prins, Jahrgang 1979, vollzieht in seiner Reihe «Fremdkörper» durch erweiterte Spiel- und Klangtechniken eine Anamorphose herkömmlicher Instrumente an anarchisch irrlichternde Elektronik. Durch Kopplungen der Instrumente mit Mikrofonen, Verstärkern, Laptops und live-elektronischen Transformationsprozessen kreiert der zunächst zum Elektrotechniker ausgebildete Komponist eine hybride Gesamtapparatur. Die xenophobischen Körper werden zu etwas Neuem verschweißt und verlieren ihre Fremdheit. Der Sand im Getriebe verwandelt dieses, statt es zu zerstören, kurzerhand zum Schaufelradbagger, der für willkommene Umschichtung und Durchlüftung im ästhetischen Kategoriensystem sorgt.
Manches wirkt wie eine Achterbahnfahrt unter Einnahme von Ecstasy. Es klingelt, knistert, knackt, schwirrt, stampft, hämmert, dröhnt. Doch trotz vielfacher digitaler Abwandlung sind die Noise-Klänge aufgrund der akzentuierten Körperlichkeit und Haptik der Spielweisen mechanisch geerdet. Prins’ drei «Fremdkörper» klingen weniger nach einem Mix verschiedener Playstations, sondern eher wie ein Orchester mit­einander kurzgeschlossener Flipperautomaten. Obwohl für so verschiedene Ensembles wie Nadar, Nikel und Klangforum Wien 2008 und 2010 entstanden, ähneln sich diese Stücke sehr, als wollten sie ein um das andere Mal demonstrieren, in was für einer technologisierten Welt voller Links, Interfaces und Applications wir leben, wo sich nach Belieben alles mit allem vernetzen lässt. Tatsächlich ist es Prins’ Hauptanliegen: «My aim is to promote a con­sciousness of the impact of technology on our everyday lives.»
Amalgamierungen elektronischer und instrumentaler Klänge ereignen sich bei improvisatorischem Zugriff auch in «Ventriloquium» (Bauchrednerei) und «Infiltrationen» – ebenfalls program­matische Titel. In Letzterem treffen Funken schlagende Elektronengewitter auf verzerrte Pop- und Sprach-Samples. Dazu reagiert das Zwerm Electric Guitar Quartet spontan auf Laptop-Signale und steigert sein subtiles Spiel gegen Ende zu handfest-wilden Heavy-Metall-Sounds. Auch sonst ist die E-Gitarre als elektronisch-instrumentaler Zwitter allgegenwärtig.
Für Abwechslung im Doppel-CD-Porträt sorgen drei rein instrumentale Stücke eher ruhigen Charakters. In der «Etude interieure» – dem ältesten Stück von 2004 – wird mit Murmeln der Saitenchor im Klavierinneren bespielt. Reiben, Wischen, Schlagen, Tupfen, Klöppeln, Glissandieren generieren eine Folge prägnanter Abschnitte. Im Duo «Erosie» scheint der konventionelle Tonvorrat von Viola und Bajan bereits so weit ausgewaschen, dass nur noch geräuschhafte Reste und Höhlen übrigbleiben. Und «Ensuite» für Cello solo konfrontiert perkussive Aktionen auf verschiedenen Bauteilen des Instruments mit gleichsam sprechenden Crescendo-Gesten ordinario mit Bogen gestrichen: «normale» neue Musik.

Rainer Nonnenmann