Friedrich Gulda – I Love Mozart and I Love Barbara

Mitschnitt vom Münchner Klaviersommer 1990 | Fantasien und Sonaten von Mozart; Eigenkompositionen von Gulda und Improvisationen | 94 min.

Verlag/Label: Arthaus Musik 101635
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2012/05 , Seite 82

Friedrich Gulda war eine Doppelnatur. Mozart spielte er genauso hingebungsvoll wie Jazz und freie Improvisation. Und wenn er ihn vor einem Publikum wie beim «Münchner Klaviersommer» spielte, das mehr aus Jazzhörern als aus eingefleischten Klassikfreunden bestand, so klang er nochmals ganz anders. Beim Label Arthaus sind jetzt zwei Dokumentationen von diesem Sommerfestival erschienen, das in den 1980er und -90er Jahren in München eine lebendige Alternative zum museal gewordenen Klassikbetrieb bildete und das Publikum zu Tausenden anzog.

In der Dokumentation vom Klaviersommer 1990 spielt Gulda zuerst einen langen Mozart-Teil, gefolgt von einem Duo an Klavier und Hammondorgel mit seiner Partnerin Barbara Dennerlein. Gulda tritt mit violettem Käppi, Sonnenbrille und Schlabberpulli auf, am Handgelenk blitzt die goldene Armbanduhr. Er versteht es problemlos, das Publikum, dessen Ohren vorwiegend auf Jazz eingestellt sind, für Mozart zu sensibilisieren. Gleich zu Beginn schafft er eine lockere Atmosphäre: Er kommuniziert ungezwungen mit dem Saal, und seine Stücke sagt er an wie ein Jazzmusiker, indem er in den Applaus hineinspricht. Das hindert ihn nicht, sich so in die langsamen Sätze zu versenken, dass ihm alle mäuschenstill folgen.
Guldas Mozart klingt einfach, direkt und vor allem völlig unsentimental, die Erfahrungen mit Jazz und Improvisation schlagen deutlich auf sein Spiel durch. Das zeigt sich etwa bei den Wiederholungen in den Sonatensätzen: Er schmückt sie aus mit Trillern, Verzierungen und kleinen Durchgängen, die nicht notiert sind, aber in der Mozartzeit noch durchaus zur Musizierpraxis gehörten. So erhalten die Doppelstriche plötzlich wieder einen Sinn, denn es geht um mehr als um das sture Wiederholen von bereits Gesagtem. Die rhythmischen Feinheiten sind mit großartigem Schwung in die große Linie integriert, das Tempo wird fast metronomgenau durchgehalten. Dass daraus kein herzlos mechanisches Abschnurren entsteht, wie es einst Glenn Gould auf reichlich verkrampfte Weise bei Mozart praktiziert hat, ist Guldas phänomenaler Anschlagskultur zu verdanken, die ihn auch in den schnellen Sätzen noch zu zartesten Ausdrucksnuancen befähigt. Kraft und Sensibilität verbinden sich zu einer einzigartigen Mischung, und da fällt es auch kaum auf, wenn im abenteuerlich schnellen Schlusssatz der Sonate KV 332 dann und wann eine Handvoll Töne unters Klavier fällt.
Und dann gibt es noch die Kehrseite von Gulda, die freie Improvisation. Nach dem langen Mozart-Programm ist Jazz angesagt. Barbara Dennerlein sorgt an der Hammondorgel, die sie mit eigenen Schaltungen erweitert hat, für einen mitreißenden Groove und brilliert mit einem virtuosen Pedalsolo, mit dem sie einen Bass imitiert. Was zuvor schon Guldas Mozartspiel anzuhören war, zeigt sich nun wieder beim Musizieren mit seiner Partnerin: Musik ist für ihn ganz wesentlich eine Kom­munikationsangelegenheit. Er braucht die Mitspieler und das Publikum, um richtig in Fahrt zu kommen.

Max Nyffeler