Schlippenbach Trio

Gold is where you find it

Verlag/Label: Intakt Records INTAKT CD 143
erschienen in: Neue Zeitschrift für Musik 2010/01 , Seite 88

Musikalische Wertung: 5
Technische Wertung: 5
Repertoirewert: 5
Booklet: 4
Gesamtwertung: 5

 

«Drei weise Männer» hat Ben Young seine Liner Notes überschrieben. Weise sind die drei Herren inzwischen sehr wohl; doch weniger wegen ihres Alters, eher schon aufgrund ihrer reichen Spielerfahrung. Seit über dreißig Jahren musizieren und improvisieren sie als festes Trio und immer wieder natürlich auch in diversen anderen Formationen miteinander. Sie sind Protagonisten des europäischen Free Jazz und der frei improvisierten Mu­sik. Zudem Musiker, deren einstige Heimat der Jazz war, dem sie sich, jeder auf seine Art, nicht immer direkt, zuweilen gebrochen oder kontrastierend versteckt, immer wieder nähern. Sei es wie bei Paul Lovens, der zum Beispiel regelmäßig in den ironisch gebrochenen Jazzstandard-Interpretationen von Aki Takases Formationen als subtiler Schlagzeuger auftaucht, sei es wie bei Alexander von Schlippenbach, der das Prinzip des Improvisierens über Harmonien auf Zwölftonreihen übertragen hat.
Drei weise, drei hochvirtuose Männer, drei Musiker, die das freie Spiel mitgeprägt haben, die Wesent­liches zur Weiterentwicklung der Instrumentaltechnik wie des musika­lischen Denkens im freien Spiel bei­getragen haben. Natürlich, mag man denken, wer so viele Jahre lang gemeinsam musiziert und improvisiert, der kennt seine Mitmusiker und deren Spielweisen, Reaktionen und musikalische Vorlieben bis ins kleinste Detail. Vielleicht gar so genau, dass gar nichts Neues mehr entstehen kann, dass längst eingespielte Wendungen, energetische Entwicklungen und Gesten immer wieder abgespult werden. Wo und wie können «Spontaneität» und das «Unvorhergesehene», diese beiden vielbeschworenen Substantive im Kontext frei improvisierter Musik, überhaupt noch ihren Platz finden? Doch ist dies die richtige Frage? Sind diese Begriffe nicht sowieso zu vage? Und: Wiegt eventuell gar subtiles und feinst ausbalanciertes Strukturieren und Formen im freien, aufeinander eingespielten Improvisieren gar stärker als scheinbar Unvorhergesehenes? In diesem Trio ganz sicher. Man drücke auf den Startknopf des CD-Spielers und erkennt sie sofort, die drei und ihre Personalstile, ihr energetisches Zusammenspiel, dessen Qualitäten weit über Dichte und energy play hinausgehen.
Am Interessantesten aber sind nicht zwingend die Stücke, in denen die drei Musiker ihre stupende Geläufigkeit von Fingern und Zunge, ihre technische Virtuosität präsentieren. Dies ist man – im positiven Sinne, versteht sich – von ihnen gewohnt, schätzt es. Noch gespannter horcht man bei den leisen, ruhigen, manchmal gar ausgedünnten Passagen auf, wenn sich wieder einmal der weite Horizont des Trios offenbart: ihre Fähigkeit, Passagen aus der Jazzgeschichte zu imaginieren, ohne gleich zu zitieren; im freien Spiel Harmonien, Akkordfortschreitungen, Linien und Kontrapunkte zu gestalten, sich dabei stets aufeinander zu beziehen und neue Kontexte zu schaffen, statt in bekannte Harmonie- oder Rhythmus-Schemata zu verfallen.

Nina Polaschegg